Es gibt keine scharfe Grenzen zwischen Handwerk, manufakur- bzw. verlagsmäßiger Organisation eines Betriebes und einer fabrikmäßigen Produktionsweise. Der für eine Fabrik kennzeichnende Einsatz von Maschinen in bedeutendem Umfang war teilweise schon vor der Industrialisierung gegeben (z.B. Mühlen, Brauereien), handwerkliche Herstellungsverfahren noch lange in einzelnen Bereichen der Industrie gebräuchlich (Zundel- und Pfeifenmacher, Möbelbau usw.).
Die Gewerbeordnung von 1862 gibt einen ersten Anhaltspunkt, was unter einem Fabrikbetrieb zu verstehen ist, nämlich ein Unternehmen, das "mit Hilfe elementarer Betriebskräfte" und mit mehr als 20 arbeitsteilig beschäftigten Arbeitern betrieben wird. Wurde ein Betrieb nach diesen Kriterien als Fabrik in das Gewerbekataster aufgenommen, hatte er eine Fabrikordnung aufzustellen in der die Rechte und Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmer geregelt wurden.
Schon bald eilte den in einer Fabrik hergestellten Produkten der Ruf einer besonderen Qualität voraus. Mancher kleinere Unternehmer nutzte dies aus um seinem Betrieb den ungeschützen Titel "Fabrik" zu verleihen ohne dass jedoch industrielle Strukturen vorhanden waren.
Mit zunehmender Industrialisierung der Wirtschaft musste das Gewerbe auch sachlich-inhaltlich strukturiert werden.
Neben einer Differenzierung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bzw. der Anzahl der Beschäftigen, die eine Einteilung in Klein-, Mittel- und Großbetriebe vorsah, teilte man schon bald die Unternehmen in verschiedene Gewerbegruppen ein.
In der Oberamtsbeschreibung Ulms von 1897 unterscheidet man folgende Zweige:
- Torfgräberei
- Industrie der Steine und Erden
- Metallverarbeitung
- Maschinen, Werkzeuge, Instrumente
- Chemische Industrie
- Leuchtstoffe, Fette, Öle, Firnisse
- Textilindustrie
- Papier
- Leder
- Holz- und Schnitzstoffe
- Nahrungs- und Genußmittel
- Bekleidung und Reinigung
- Baugewerbe
- Polygraphische Gewerbe
- Künstlerische Betriebe
Heute folgt die Gliederung der Wirtschaftszweige meist einer Klassifikation, die das Statistische Bundesamt nach den Vorgaben der Europäischen Gemeinschaft erstellt hat.
Einen nicht unerheblichen Teil seines mittelalterlichen Reichtums verdankt Ulm dem Handel mit Barchent, einem Baumwoll-Leinen-Gemisch. Die Stoffballen, deren Qualität überaus hochwertig war und von der Stadt kontrolliert wurde, waren durch ein städtisches Siegel gekennzeichnet. Dieses wurde bald zu einem Gütekennzeichen in allen Teilen der Welt, in denen Ulmer Kaufleute Handel trieben.
Die Idee, Waren neben dem Namen des Herstellers auch mit einem Herkunftszeichen zu versehen und damit den guten Ruf der Stadt auf das eigene Produkt zu übertragen, fand auch in anderen Gewerken Anwendung. Der erste Ulmer Buchdrucker, Johannes Zainer, brachte in seinen Randleisten neben seinem eigenen Wappen und dem seines Gönners Heinrich Steinhövel auch das Ulmer Stadtwappen unter. Christof Neuhaus, der erste Ulmer Papiermacher, setzte als Papierzeichen unter die eigenen Initialen ein ausgeschmücktes Stadtwappen in unterschiedlichen Varianten.
Ihnen folgten viele Unternehmer nach, die ihre Verbundenheit mit dem heimatlichen Standort auch im Firmenlogo deutlich machen wollten, wobei das Stadtwappen nach Vollendung des Münsters schnell durch die typische dreizackige Silhouette des neuen städtischen Wahrzeichens abgelöst wurde. Das bekannteste Beispiel dürfte dabei das stilisierte M von Magirus sein.
Die Grundzüge der industriellen Entwicklung Ulms
Prägend für das wirtschaftliche Leben der Stadt war über Jahrhunderte deren geografische Lage inmitten eines von der Landwirtschaft dominierten Gebiets in dem sich mehrere bedeutende überregionale Verkehrswege kreuzten.
Der frühere Wohlstand der Ulmer Bürgerschaft begründete sich daher neben der Versorgung des lokalen und regionalen Marktes mit Waren aus handwerklicher Produktion in hohem Maß aus dem Fernhandel mit Salz, Wein, Holz und Textilgewebe, namentlich dem Barchent.
Die für eine industrielle Entwicklung typischen Standortfaktoren wie Rohstoffe (Erze, Kohle usw.) oder ein günstiger Arbeitsmarkt fehlten weitgehend. Gewerbliche Arbeitskräfte waren hier immer schon Mangelware und teuer. Als Energiequelle stand nur die Wasserkraft der Blau zur Verfügung. Nach einer Aufstellung der Landesbehörden von 1858 waren deren 347 PS Leistung jedoch schon durch die
→ Ulmer Mühlen und Brunnenwerke nahezu vollständig ausgenutzt.
Eine Produktionssteigerung war folglich nur mit Hilfe der Dampfkraft möglich. Anfangs diente zunächst Holz als Brennstoff. Als dessen Preise zur Mitte des 19.Jh. um 30-40% stiegen kam oberschwäbischer Torf zum Einsatz. Erst die stark gesenkten Frachtraten bei der Eisenbahn erlaubten später auch in Schwaben den Umstieg auf Kohle.
In dieser frühen Phase der Industrialisierung profitierte der Standort auch nicht von staatlicher Initiative, also der Ansiedlung von Staatsunternehmen (wie andernorts z.B. die königl. Hüttenwerke oder Porzellan-Manufaktur), oder von Gründungen auswärtiger Investoren. Es gab auch kein geeignetes Bankenwesen mit dem größere Unternehmungen finanziert werden konnten. Der Geldbedarf zum Auf- und Ausbau eines Betrieb musste privat beschafft werden.
Diese äusseren Rahmenbedingungen, hohe Energiekosten, hohes Lohnniveau, kaum Rohstoffe und schlechte Infrastruktur, zwangen die Unternehmen in Wüttemberg zu einem hohen Mechnisierungsgrad sowie zu einer Steigerung der Produktivität durch Massenfertigung und Bildung von Fabriken.
Dabei lässt sich für viele Betriebe lange nicht eindeutig festlegen, wie weit sie noch dem Handwerk zuzuordnen sind. Die in Folge der württembergischen Gewerbeordnung von 1828 erteilten Konzessionen und aufgestellten Fabrikordnungen können hier nicht immer als Kriterium dienen.
Der beinahe schon inflationär verwendete Begriff "Fabrik" sollte Assoziationen von einer besonders produktiven Herstellungsweise, einer hohen Qualität und
von überregionalem Renommee erwecken. Er diente daher, ähnlich wie die bei den damals zahlreichen internationalen Ausstellungen errungenen Medaillen, oftmals nur zu Werbezwecken, sagte aber nicht viel über die Betriebsstruktur aus.
(z.B.
, Ehingerstr. 1, Anzeige v. 1886 )
Bis um ca. 1870 orientierte sich die heimische Wirtschaft am regionalen Binnenmarkt, konnte danach durch geänderte zoll- und wirtschaftspolitische Verhältnisse aber den deutschen und den internationalen Markt erobern.
Vor allem die Eisenbahn förderte die hier wirtschaftliche Entwicklung.
Beginnend mit den Webereien von
(1857) und
→ Steiger & Deschler
(1868),
einer Dampfziegelei (
)
am Galgenberg und der Bildung von Großbrauerein (
→ Das Ulmer Brauwesen)
entstanden nacheinander Messingfabriken (neben Wieland u.a.
), mehrere Eisengießereien (
→ Hüttenwesen und Halbzeuge) und auf landwirtschaftliche Geräte und Brauerei-Apparate ausgerichtete Maschinenfabriken (
→ Fahrzeugbau und
→ Maschinen- u. Apparatebau).
National und international konkurenzfähig wurden in den 1880er Jahren die Musikgeräte-Hersteller
und
, die Hutfabrik von
, die Turmuhrenfabrik
und natürlich die Feuerwehr-Gerätefabrik von
.
Im Blautal bildete sich eine umfangreiche Zementindustrie aus. Die verbliebenen Webereien auf der Alb und im Illertal konnten sich festigen
(
in Laichingen,
in Rottenacker und
in Dietenheim) und auch im Umland entstanden neue mechanische Fabriken (z.B.
in Ehrenstein).
Gleich mehrere Fabriken in Neu-Ulm widmeten sich der Besen- und Bürstenherstellung
(
→ Bürsten-, Pinsel- u. Besenfabriken).
In Ulm wurde eine weitere Ansiedelung von Betrieben jedoch durch das sog. Baurayon-Regulativ gehemmt, einer starken Einschränkung der Bebauung von Flächen im Vorfeld der Bundesfestung, das die Bundesversammlung 1860 erlassen hatte. Erst durch den Kauf der Wallanlagen durch die Stadt im Jahr 1903 war die Ausweisung neuer Wohn- und Industriegebiete ausserhalb der alten Stadtmauern möglich.
Der Bau des Ost- und des
→ Westgleises ab 1906 und die vom damaligen Oberbürgermeister Heinrich Wagner weitblickend geförderte Verlegung von Betrieben aus der engen Altstadt in diese neuen Stadtteile brachten der Wirtschaft starke Entwicklungsmöglichkeiten.
Auf diese Zeit geht auch die heute noch vorbildliche Bodenpolitik der Stadt zurück.
Die neuere Geschichte ist dann geprägt von den bekannten Großbetrieben Magirus, Kässbohrer, Wieland, Eberhardt etc. aber auch von Unternehmen, die man heute als hidden Champions bezeichnen würde, wie die Werkzeugmaschinenfabrik
→ Ott, die Schraubenfabrik
oder die Fabrik für Ladeneinrichtungen
.
Aber auch in der Ost- und der Weststadt stießen die Betriebe bald an ihre räumlichen Grenzen. Zudem wurde zunehmend das Nebeneinander von Wohnbebauung und störendem Gewerbe zu einem Problem. Die Stadt suchte daher schon zu Beginn der Wirtschaftswunderjahre ab 1950 nach Ausweichflächen und fand diese im Donautal südlich von Grimmelfingen.
Nach einer einschneidenden Krise in den 1980er Jahren wird die Wirtschaftskraft der Region inzwischen nicht nur vom traditionell breiten Branchenmix der Industrie sondern auch von einer ebenso breit gefächerten Wissenschafts- und Forschungslandschaft getragen.
In dieses Verzeichnis wurden auch Firmen aufgenommen, die nach
heutigem Maßstab hinsichtlich Arbeitsteilung, Mechanisierung und
Automatisierung nicht zu den Industriebetrieben zu zählen
wären.
Entscheidend für die Nennung war in diesen Fällen ihre Bedeutung
für die regionale Wirtschaft (sichtbar z.B. in entsprechenden
Geschäftsanzeigen), eine hinreichende Dauer des Bestehens des
Unternehmens und die Absicht, die historische Entwicklung der
Branchen nachverfolgbar zu gestalten.
Das Landesarchiv Baden-Württemberg bietet in
seinem Portal
Landeskunde entdecken online (leo-bw.de)
statistisches Kartenmaterial u.a. zum Themenkomplex Verkehr und
Wirtschaft.
Das Beiwort zur Karte 11,6
Anfänge der Industrie in Baden und
Württemberg 1829/1832 von Ute Feyer gibt einen Überblick über
die Bedeutung der einzelnen Industriegruppen zur Zeit ihrer
Entstehung.
-» Download bei leo-bw.de