Bildschirmtext (Btx) - wie funktionierte das?
Den Btx-Dienst hat Daniel Rehbein sehr ausführlich und verständlich auf seiner →Homepage beschrieben.
Dort findet sich auch eine umfangreiche →Auswahl an Btx-Seiten, die das Design und die Funktionsweise dieses damals neuen Mediums anschaulich zeigen.
Für die Teilnahme an Btx benötigte man entweder extra dafür von der Post angebotene Terminals, bei denen Bildschirm, Tastatur und Telefon (zur Einwahl in den Dienst) in einer funktionalen Einheit zusammen geschlossen waren, oder eine Kombination aus PC-Tastatur, Fernsehbildschirm und einem speziellen Btx-Dekoder, in dem die Verbindungstechnik und die Zugangsdaten gespeichert waren.
Innerhalb des öffentlichen Fernsprechnetzes, über das die Btx-Seiten übertragen wurden, nutzte der Dienst ein eigenes, international standardisiertes Übertragungsprotokoll (X.25).
Jede Btx-Seite verfügte über eine eigene Seitennummer die den direkten Aufruf der Seite ermöglichte. Der Seitennummer wurden dazu die Steuerzeichen * voran- und # nachgestellt (z.B. *28000123#).
Eine Seite konnte entweder den gewünschten Inhalt selbst darstellen oder über eine Menüauswahl (2-stelliger Zahlencode) auf Unterseiten verzweigen. Auch das Navigieren innerhalb des Seitenbaums (vor-/zurück-blättern) erfolgte über Tastatureingaben. Eingabefelder ermöglichten das Ausfüllen von Masken und Formularen (z.B. für Überweisungen oder Bestellungen).
Für einzelne Seiten konnten vom Anbieter Nutzungsgebühren verlangt werden. Der Kunde stimmte der kostenplichtigen Anzeige durch Eingabe eines Zahlencodes zu (meist *19#). Die Gebühr wurde von der Telekom mit der Fernsprechrechnung eingezogen und dem Anbieter gutgeschrieben.
Sog. "Geschlossene Benutzergruppen" ermöglichten es, ganze Angebotsbereiche vor dem allgemeinen Zugriff zu schützen und nur Mitgliedern der Gruppe zugänglich zu machen (Abos, firmeninterne Btx-Anwendungen usw.).
Der überwiegende Teil der Btx-Seiten war auf Großrechnern in der Btx-Leitzentrale Ulm gespeichert. Nach dem Abruf einer Seite wurde diese auf einer der im ganzen Bundesgebiet verteilten Btx-Vermittlungsstellen zwischengespeichert um bei einem erneuten Aufruf der Seite den Datenverkehr zu minimieren und die Ladezeit zu verkürzen.
Für größere Anbieter oder für Anwendungen, die über die ursprünglich vorgesehene Nutzung hinaus gingen, wurde die Möglichkeit geschaffen, sich mit der eigenen DV-Anlage am Dienst zu beteiligen (sog. Externe Rechner - ER).
Quelle: http://www.daniel-rehbein.de/bildschirmtext.html
Schon bei Einführung des Dienstes im September 1983 wurden heute aus dem Internet gewohnte Funktionalitäten wie z.B. aktuelle Agentur-Nachrichten lesen, private Nachrichten versenden, Online-Banking und Online-Shopping oder die Abfrage von Bus- und Zugfahrplänen sowie der Flugpläne aller deutschen Airports über Btx bereitgestellt. Aber auch Erotik-Seiten und Tele-Spiele waren zunehmend beliebte Angebote.
Die Firma FUN Kommunikationssyteme aus Karlsruhe begann recht früh damit, über ihre Externe Rechner-Anbindung auch Internet-Dienste wie E-Mail, News und Chat in das System einzubinden. Bis dahin standen diese Funktionen nur in geschlossenen Universitätsnetzen oder durch die Einwahl in amerikanische Netze zur Verfügung. Über eine Kooperation mit der Deutschen Telekom wurden diese Angebote dann zu einem festen Bestandteil des Btx-Dienstes. Schon längere Zeit vor Einstellung von Btx im Jahr 2001 konnten die Benutzer über eine Schnittstelle (eine spezielle Btx-Seite) auch auf WWW-Seiten im Internet zugreifen.
Selbst kollaboratives Arbeiten, wie wir es heute aus ERP-Anwendungen, durch den Einsatz von Office-Programmen und in der Arbeit im Homeoffice kennen, war mit Btx schon möglich.
Eine an der FH Ulm (heute THU) im Jahr 1991 eingereichte Diplomarbeit beschreibt eine Externe Rechner-Anwendung mit der es der Führungsebene eines Unternehmens möglich ist Sitzungsprotokolle über Btx "online" zu erfassen, zu bearbeiten, einem Nutzerkreis zur Verfügung zu stellen und zu archivieren.
Das Programm ist in der damals weit verbreiteten Programmiersprache C geschrieben und nutzt zur Speicherung der Daten eine dBASE-IV Datenbank. dBASE war lange Zeit die meistgenutzte Datenbanksoftware auf DOS-PC-Systemen.
Programm CULI:
Computerunterstütztes Leitungs- und Informationssystem
Links:
Übergangsdiagramm der Btx-Seiten
rechts:
Ausschritt aus dem Programmcode
(anklicken zum Vergrößern)
Für das etablierte Management war jedoch die Vorstellung, Unterlagen nicht in Papierform vorliegen zu haben und Dokumente nicht mit einem Stift persönlich abzeichnen zu können, noch zu ungewohnt. Dass jemand von zu Hause aus Schriftverkehr erledigt und an Sitzungen nur über das Telefon teilnimmt, war noch gänzlich undenkbar. Mit Btx wäre das aber schon möglich gewesen.
Zur zeitlichen Einordnung: 1991: Das "Internet" (zu der Zeit hauptsächlich noch aus den Diensten E-Mail, Telnet und FTP bestehend) ist erst im Jahr zuvor durch die National Science Foundation der USA für eine öffentliche Nutzung freigegeben worden, Tim Berners-Lee veröffenlicht am 6. August d.J. die Grundlagen des World Wide Webs und der Verknüpfung von Text über Hyperlinks (html) und der Firma Microsoft wird es erst zwei Jahre später gelingen ihr Windows-System netzwerkfähig zu machen.
Die ER-Anwendung aus der Diplomarbeit kam nie zum Einsatz. Btx erreichte (auch wegen der restriktiven Vermarktungspolitik durch die Deutsche Bundespost) nie die erwarteten Nutzerzahlen. Das durch eine konservative Regierung geprägte Postministerium, dem die Telekom noch bis 1998 untergeordnet war, stand den modernen Medien immer skeptisch gegenüber.
Aber auch der Unternehmensleitung der Deutschen Telekom gelang es nie, die Potentiale dieses Kommunikationsmediums in Verbindung mit dem sich immer stärker durchsetzenden Internet zu erkennen und zu nutzen.
Die Btx- und die IP-(Internet-) Welt rückten zwar immer enger zusammen, in der Ulmer Btx-Leitzentrale standen dann Mail- und www-Server in Reihe mit den S1-Zugangsrechnern für Btx. Eine konzeptionelle Verknüpfung der Technologien, wie sie später z.B. beim Übergang der analogen/digitalen Telefonie-Dienste zum heutigen → VoIP-Standard stattfand, wurde aber bewusst nur halbherzig angegangen. Man sah im Internet hauptsächlich eine gefährliche Konkurrenz zu Btx, keinen unterstützenden Synergie-Faktor.
Die eigenständige Telekom-Tochter T-Online AG und ihre Vorgängergesellschaft, die auch in Ulm zahlreiche Mitarbeiter beschäftigten, gehörten um die Jahrtausendwende zu den führenden Internet-Anbietern und standen technologisch den damaligen Branchengrößen wie MSN und Yahoo auf Augenhöhe gegenüber. Die Vorgabe kurzfristiger Unternehmensziele und die Konzentration auf sog. "Big-Points" führte jedoch zur vorzeitigen Einstellung von innovativen Diensten, die in weiterentwickelter Form später zu wichtigen Umsatzträgern bei anderen Unternehmen wurden (TOM→WhatsApp/Twitter, HomepageCenter→heutige Hosting-Produkte usw.).
futuristisches VoIP-Telefon
von T-Online
(ca. 2004)
Trotzdem blieb der Standort Ulm ein wichtiges Standbein der deutschen Internet-Infrastruktur. Von den hier ansässigen Dienststellen und Abteilungen, die sich hauptsächlich um den Betrieb der Anwendungen und Netze kümmerten, gingen oftmals entscheidende Impulse zur Weiterentwicklung von Internet-Diensten aus.
In den ersten beiden Dekanden des 21.Jahrhunderts wurde von Ulm aus die IP-TV Plattform der Telekom gesteuert (Produktname Magenta-TV). Durch immer leistungsfähigere und damit weniger Platz beanspruchende Hardware und durch Aufgabenverlagerungen ins Ausland ist die Bedeutung des ehemals über mehrere Etagen reichenden Rechenzentrums in der Ulmer Olgastraße inzwischen jedoch stark gesunken.
Die Geschichtsschreibung der Online-Medien in Deutschland ist heute geprägt von den Narrativen der großen amerikanischen Unternehmen - The Winner takes it all. Die wichtige Etappe Btx kommt in dieser Erzählung nicht vor.
Dass Ulm in dieser Geschichte eine zentrale Rolle spielte ging wesentlich auf die Bemühungen des damaligen Leiters des Fernmeldeamts Ulm, K.-H. Bork, zurück, der sich von Anbeginn an für die Ansiedlung der Btx-Leitzentrale in seinem Amt einsetzte.
Der „Vater des Btx“ und Wegbereiter des deutschen Internets, Eric Danke, verstarb im März 2024 im Alter von 84 Jahren.
letzte Aktuallisierung Seite u. Links: Sept. 2024