Unter einer Mühle versteht man bei uns heute meist ein Gebäude, das an einem Fließgewässer steht und dessen Wasserkraft zur Produktion von Mehl genutzt wird. Allenfalls kommen einem noch das Hammerwerk am Blautopf oder Sägemühlen im Schwarzwald in den Sinn. Windmühlen dagegen sind in unseren Mittelgebirgsregionen nicht gebräuchlich.
Noch bis in die späteren Anfänge der Industrialisierung war der Begriff Mühle aber viel weiter gefasst. Damit wurden alle Anlagen bezeichnet, die eine nicht durch einen Menschen erbrachte Kraft nutzten, um stationäre Arbeiten zu verrichten.
Bis zur Erfindung der Dampfmaschine standen als alternative Antriebe nur die Kraft des Windes, des Wassers und von Tieren, meist Ochsen, Pferde oder Maultiere, zur Verfügung.
Göpel-Mühle
Für einen Mühlenbetrieb kommen im Ulmer Raum als einzige Fließgewässer nur die Blau und die Weihung in Wiblingen in Frage. Die stark wechselnden und im Jahreslauf unregelmäßigen Wasserstände der Donau waren bis in die Neuzeit technisch nicht beherrschbar. Versuche mit Schiffsmühlen zeigten keinen dauerhaften Erfolg. Die Kraft der Iller konnte man sich jedoch schon früh durch den Bau von Kanälen nutzbar machen.
Die gesamte Wasserkraft der Blau reichte allerdings zu keiner Zeit aus um den Bedarf aller Gewerke in der Reichsstadt zu befriedigen. Die Stadtverantwortlichen begrenzten daher schon im 17. Jahrhundert die Zahl der zugelassenen Mühlen und die von ihnen zu nutzende Wassermenge. Der Blau wurden 96 "Räder" zugewiesen, die sich die Müller teilen mussten. Dabei war dann auch noch die Leistung der Brunnenwerke am Stadtgraben zu berücksichtigen, die ebenfalls aus der Blau gespeist wurden und oberste Prioriät hatten.
Es war daher wichtig, die einer Mühle zustehende Wasserkraft durch eine geeignete Bauweise möglichst optimal auszunutzen. Unterschieden wird dabei zwischen oberschlächtigen Wasserrädern, die die Fallhöhe des Wassers nutzen, und unterschlächtigen Rädern, die die Energie aus der Fließgeschwindigkeit des Wassers ziehen. Die geringe Neigung der Blau brachte es daher mit sich, dass die Ulmer Mühlen durchwegs unterschlächtig waren.
Mittelschlächtige Wasserräder mit optimierter Schaufelform kamen in der Region erst zur Anwendung, als sich die Ära der Mühlen schon ihrem Ende zuneigte. Die letzte und heute noch verwendete Bauart ist das Zuppinger-Rad mit gebogenen Schaufeln. Der Erfinder, der Schweizer Ingenieur Walter Zuppinger, war auch Mitbegründer der Papierfabrik Baienfurt bei Ravensburg.
Oberschlächtigen Mühlen wird das Wasser meist aus einem Kanal zugeleitet, der flußaufwärts vom Hauptgewässer abzweigt. Die direkt am Wasserlauf stehenden unterschlächtigen Anlagen benötigen ebenfalls einen, allerdings weniger auffallenden Wasserbau, der die Kraft des Wassers gezielt auf das Rad leitet. Die dafür errichteten Wehre, Sohlschwellen und Fallenstöcke sind heute oft die einzig noch erhaltenen Hinweise für den früheren Standort einer Mühle.
oberschlächtig
unterschlächtig
Zuppinger-Rad
Genutzt wurde die Wasserkraft nicht nur für Mahl- und Hammerwerke sondern auch für Säge-, Schleif- und Stampfwerke, für Walken, Pressen, Pumpen und für den Antrieb von Webstühlen.
Drahtzugmühlen sind schon seit dem Mittelalter bekannt. Hier werden die Wassertriebwerke benutzt, um mittels Nocken- und Hebelwerken vorgeformte Stäbe durch eine sich verjüngende Öse zu ziehen. Nach mehreren Zugvorgängen erreicht man so den gewünschten Enddurchmesser eines Drahtes. Da sich das Material beim Zug verhärtet muss es vor dem nächsten Arbeitsschritt ausgeglüht werden. Drahtzug-Mühlen lagen daher wegen der Brandgefahr oft vor der Stadt.
In dieses Umfeld der metallbearbeitenden Kleinbetriebe gehören auch die Schleifmühlen in denen nicht nur Werkzeuge geschärft sondern manchmal auch andere Werkstoffe, z.B. Naturstein, formgebend bearbeitet wurden.
In Pulvermühlen wurden die für die Herrstellung von Schwarzpulver notwendigen Zutaten wie Holzkohle, Schwefel und Salpeter gemahlen und gemischt. Wegen der damit einher gehenden Explosionsgefahr lag auch die Ulmer Pulvermühle vor den Toren der Stadt.
In einem Ort, der schon in der frühen Neuzeit für die Fähigkeiten seiner Buchdrucker bekannt war und in dem die Rudolfinischen Tafeln von Johannes Kepler publiziert wurden, muß es natürlich auch eine Papiermühle geben. In dieser wurden Lumpen, also nicht mehr verwendbare Textilien, in Wasser eingeweicht und zu einem Faserbrei zerstampft. Aus der so entstandenen Masse wurde dann das Papier geschöpft, gepresst und in einzelnen Bögen zum Trocknen aufgehängt. Diese Prozedur ist nicht nur mit Lärm und Gestank verbunden, es fallen auch große Mengen Schmutzwasser an. Die Ulmer Papiermühle stand deshalb im Osten, der dem Wind abgewandten Seite der Stadt und am Unterlauf des Stadtgrabens.
Ähnlich unangenehm muss es in der Nähe der Lohmühle gerochen haben. In ihr wurde die Lohe, ein pflanzliches Gerbmittel aus Fichten- und Eichenrinden hergestellt. Verkauft wurde diese Ware an die Rotgerber.
Mit der Lohmühle handwerklich verwandt sind die Walkmühlen. Sie wurden von den Weißgerbern und den Grautuchmachern genutzt, die im Ulmer Raum Marner genannt wurden. In der Walke werden Wollstoffe so lange gestampft, geklopft und verdichtet, bis ein verfilzter, wasserabweisender Stoff entsteht.
Gestampft und geschlagen wurde auch in den Ölmühlen. Die Samen, aus denen das Öl gewonnen werden soll, wurden in einem Stampfwerk zerkleinert und in einer Keilpresse ausgepresst. Bei Keilpressen entsteht der Pressdruck durch gegenläufiges Einschlagen zweier Keile in einen Kasten. Diese drücken über Eisenplatten dann das in Beutel gefüllte Pressgut an die Kastenwände. Das Öl kann dann am Boden aufgefangen werden.
Und auch die am häufigsten anzutreffenden Mahlmühlen beschränken sich nicht nur auf das Zermahlen von verschiedenen Getreidesorten zu Mehl. Mit den unterschiedlichen "Gängen" einer Mühle konnten auch andere Produkte wie Graupen oder Gries hergestellt oder ganz andere Rohmaterialien gemahlen werden. So hatte sich beispielsweise seit Mitte des 18. Jahrhunderts in der Reichsstadt eine regional bedeutsame Tabakindustrie angesiedelt in dessen Folge einige Mühlwerke zu Tabakmühlen umgebaut wurden.
Was in den Ulmer Getreidemühlen erzeugt wurde und welche Betriebe in diesem Bereich tätig waren steht im TIG-Branchenbuch unter → Nahrungs- und Genussmittel / Mühlen u. Getreideprodukte.
Das blieb jedoch nicht der einzige Wandel, dem die Mühlen unterlagen. Besonders Mitte des 19. Jahrhunderts führte die Energiekrise durch die schon lange vollkommen ausgeschöpfte Wasserkraft der Blau dazu, dass aufstrebende Betriebe die Wasserrechte von wirtschaftlich weniger erfolgreichen Mühlen erwarben um mit deren Leistung die eigene Produktivität zu steigern. Mühlräder wurden gegen Turbinen getauscht, die damit erzeugte elektrische Energie konnte eine Vielzahl unterschiedlicher Maschinen antreiben.
Bekannt sind die Kaufbestrebungen von Philipp Jakob Wieland, Joh. Georg Krauß und der Weberei Steiger & Deschler, bei denen die erworbenen Mühlen zum Kern prosperierender Unternehmen wurden.
Andere Fälle, in denen beispielsweise nur Teile einer Mühle gekauft oder nicht mehr benutzte Räume gepachtet wurden, sind heute nicht mehr so bekannt aber für die Entwicklung der Stadt ebenso bedeutsam. Zu nennen wäre hier stellvertretend die Umwandlung der Funken- und der Langmühle zu den ersten Ulmer Kaufhäusern oder die Entwicklung der Landmaschinenfabrik Eckhardt & Sohn aus den Anfängen in der Marner Walk zum heutigen Autohaus Frauentorgarage in Söflingen.
Bochsler-Mühle um 1920, Der Anfang der Wieland-Werke
Dr. Rudolf Hirschmann schreibt in seiner 1926 erschienenen Abhandlung über die Industrieentwicklung in Ulm seit dem Mittelalter: "So ist gerade für Ulm festzustellen, daß die heute relativ unansehnlichen Wasserkräfte der Blau von grundlegender Bedeutung für das Aufkommen der ältesten und stattlichsten Industriezweige waren. Bis in die fünziger Jahre beruhte die fabrikmäßige Produktion fast ausschließlich auf dem Mühlenprinzip, ..."
Mühlen waren also in vielen Bereichen die Keimzellen der Ulmer Industrialisierung.
Erst zum beginnenden 20. Jahrhundert verloren sie ihre Stellung an Fabriken, die ihre Energie aus Dampfmaschinen oder dem neu errichteten Stromnetz bezogen und damit unabhängig waren von einem Standort mit freier Wasserkraft.
Quellen: Albert Haug, Die Mühlen der Stadt Ulm und wikipedia.org
Das Standardwerk zur Geschichte der Ulmer Mühlen ist mit Sicherheit der Mühlenatlas von Prof. Albert Haug, der leider nur noch antiquarisch erhältlich ist. (s. → Literaturliste Energie, Die Mühlen der Stadt Ulm). Im Band 52 der Schriftenreihe "Ulm und Oberschwaben" fasst Albert Haug seine Forschungsergebnisse nochmal in einer lesenswerten Form zusammen. (Energiegeschichte von Ulm, in Ulm und Oberschwaben, Bd. 52, S. 257ff, Hg. Stadtarchiv Ulm, 2001)
Ebenfalls nur noch antiquarisch erhältlich ist die Beilage zum Geschäftsbericht 1978 der Ulmer Volksbank. Unter dem Titel "Mühlen in Ulm" fasst hier Albrecht Rieber die Ulmer Mühlengeschichte auf 11 Seiten zusammen.
Auch das Stadtarchiv widmet sich diesem Thema mit einem Beitrag im Rahmen ihrer Reihe -» "Ulmer Geschichte im Netz".
Einen Überblick über die Mühlen rund um Ulm herum bietet der Verein -» Mühlenstraße Oberschwaben e.V. auf seiner Homepage.
Darüber hinaus wird die Entwicklung der Mühlen an der Iller zwischen Kellmünz und der Mündung in die Donau ausführlich auf Station 10 der -» Zeitreise Bellenberg beschrieben.
Mühlen erleben
Wer sich die heute noch erhaltenen Objekte der Mühlen-Kultur in Ulm und der Region selbst erschließen möchte, dem sei der → Ulmer Mühlen Weg empfohlen.
Ins Roggental nordöstlich von Geislingen führt die 16 km lange -» Mühlen-Tour auf die Alb. Auf der Rundwanderung durch naturnahe Täler und über aussichtsreiche Albhochflächen kann in der Oberen Roggenmühle eingekehrt werden.
Auf dem -» 3-Mühlen-Weg lernt man die Landschaft des Schurwalds zwischen Adelberg und Rechberghausen kennen-
Mehr romantische Naturerlebnisse bietet der 37 km lange -» Mühlenwanderweg zu den 11 schönsten noch erhaltenen Mühlen im Schwäbischen Wald bei Welzheim.
Die wohl bekannteste und am häufigsten besuchte Mühle in der Region dürfte die -» Blaubeurer Hammerschmiede am Blautopf sein. In der authentisch eingerichteten historischen Schmiedewerkstatt kann man die vorindustriellen Arbeitsweisen bei Schauschmiedevorführungen und Schmiedekurse kennen lernen.
interaktive Karte Ulmer Mühlen
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Legende
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Die Mühlen im Einzelnen
nicht durch Wasserkraft angetriebene Mühlen
Von diesen Mühlen ist heute keine mehr erhalten
Mühlen im Stadtgebiet
Mühlen ausserhalb, aber mit Bedeutung für Ulm
Diese Mühlen haben überwiegend in der Anfangszeit der Stromversorgung und der Industrialisierung von Ulm eine Rolle gespielt
Quellen: 1: Albert Haug - Die Mühlen der Stadt Ulm - Mühlenatlas Baden-Württemberg, Bd. 1 2: Albert Haug - 100 Jahre Strom in Ulm 1895 - 1995 3: Albert Haug - "Tabak-Mühlen" - Anfänge und Geschichte der Ulmer Tabakindustrie, in: Ulm und Oberschwaben Bd. 53/54, Stadtarchiv Ulm 2007 4: Albrecht Rieber - Mühlen in Ulm 5: s. → Literaturliste Wirtschaftsgeschichte Industriekultur in Ulm bis zum Zweiten Weltkrieg; Haug/Hillenbrand - Baumaterial aus Ulm: Ziegel und Zement
- alle anderen Daten: Stadtarchiv Ulm, Adressbuch 1812 - 1939
alle anderen Daten: Adressbücher der Stadt Ulm, 1812 - 1939
Die Mühlen als Keimzell der neueren Ulmer Wirtschaftsgeschichte
In folgenden Branchen hatten frühe Ulmer Unternehmen zumindest zeitweise ihren Sitz in einer Mühle.
Kupferhammer (Schwenk), Nebenwerk zum Glockenbrunnen (J.G. Wassermann), beide in Pacht von Wechsler,
Pulvermühle (D. Beiselen), Nebenwerk am Neutorbrunnen (Bürglen)