<<Ulms Industriegebiete

Ulms Industriegebiete und Industriegleisanlagen

Industriegebiet Donautal
(ca. 1950 - 1980)


Das Industrie- und Gewerbegebiet Donautal liegt im Südwesten der Stadt zwischen den Stadtteilen Grimmelfingen im Norden, Gögglingen im Süden, Einsingen im Westen und Wiblingen im Osten.

Im Gegensatz zu den früher entstandenen Industriegebieten im Westen und Osten der Stadt wird das Donautal ausschließlich gewerblich genutzt, eine Wohnbebauung ist nicht erlaubt. Die damit erfolgte Trennung von Wohnen und Arbeiten bedeutet für die Beschäftigten zwar weitere Wege. Die in der Zeit der Gründung des Industriegebiets für die meisten Arbeiter erschwinglich gewordene neue Mobilität durch das Auto erlaubte jedoch die Verlegung von emissionsstarken Betrieben weit weg von den zeitgleich entstandenen Wohngebieten am Eselsberg und in Böfingen.

Das Industriegebiet Donautal ist zwar als Zeichen des deutschen Nachkriegs-Wirtschaftswunders noch vergleichsweise jung. Es hat jedoch eine stadtgeschichtlich interessante Vorgeschichte.

Das Taube Ried zwischen Grimmelfingen und Gögglingen
Bei einem Ritt Richtung Grimmelfingen sollen im Jahr 1616 dem Grafen Friedrich von Solms der weiche und schwammige Boden in dieser Gegend aufgefallen sein. Er kannte ein ähnliches Phänomen schon aus seinen Aufenthalten in Holland und wusste auch um die dort übliche Verwendung dieses Materials als Brennstoff. Er riet den Ulmer Ratsherren, Kanäle und Schleusen zur Entwässerung anzulegen und den Torf, der sich hier gewiss finden lasse, in großem Stil abzubauen. Zusammen mit dem Wurzacher Ried wurde Ulm damit zum Zentrum der gewerblichen →Torfwirtschaft im württembergischen Raum.

Bedingt durch die Folgen des Dreißigjährigen Kriegs wurde um 1657 die Torfstecherei im Donauried zwar eingestellt, 80 Jahre später durch den Wirt der Ulmer Brauerei z.Hohentwiel jedoch wieder aufgenommen1. Holz war inzwischen knapp und teuer geworden. Torf dagegen konnte vielerorts im moorreichen Oberschwaben zu einem günstigen Preis abgebaut und, zu Torfkohle verarbeitet, sogar zum Schmieden von Stahl verwendet werden.

1755 beginnen der Einsinger Torfstecher Matthäus Dilger und der Schiffmeister Martin Scheiffelen Torf als Brennmaterial an die →Ziegeleien am Galgenberg zu liefern. Anfangs wurde der Torf noch per Schiff an die Ziegellände transportiert. Die dafür verwendeten Zillen mussten aber aus dem höher gelegenen Ried in die Donau geschleust werden. Die dafür bald nicht mehr ausreichendenden Wassermengen und der hohe Aufwand zum Erhalt der Anlagen zwangen dann zum Umstieg auf Pferdefuhrwerke.

Das Göcklinger Ried wurde in der Folgezeit sowohl als Weide als auch für den Torfstich genutzt. Der Aufschwung, den der Torfhandel durch den Einsatzes des Torfs als Brennmaterial für Lokomotiven in der zweiten Hälfte des 19.Jahrunderts nahm, ging an den Ulmer Torfstechern weitgehend vorbei. Der Torf des Tauben Rieds besaß zwar gegenüber dem des Langenauer und des Söflinger Rieds einen höheren Brennwert. Das Geschäft mit der Bahn machten aber hauptsächlich die großen Stiche in Oberschwaben, z.B. in Schussenried.

Von den rund 10 Mio. Torfziegeln, die Ende der 1890er Jahre im Oberamtsbezirk Ulm produziert wurden, stammten noch 1,5 Mio. aus Einsingen und 200.000 aus Grimmelfingen2 . Abnehmer waren überwiegend die Bauern der Gegend, kaum noch Ulmer Brauereien.

Von der Eigenschaft eines feuchten Rieds zeugen aber heute noch die Gräben und Bäche, die sich durch das Industriegebiet Donautal ziehen und es in weiten Bereichen als Entwässerungskanäle auch umschließen.


Im Ried / Donautal - Ausserhalb 74 - 93

Ein wichtiger Aspekt beim Abbau von Torf und der damit einher gehenden Trockenlegung des Moors ist die Gewinnung von landwirtschaftlich besser nutzbaren Grund und Bodens. Auch im Tauben Ried standen mehrere Höfe. Diese gehörten allerdings überwiegend der Stadt und hatten zudem teilweise eine aussergewöhnliche Nutzung.

Die Anwesen mit der Anschrift Ausserhalb 74 und 75 waren ursprünglich Torfhütten und Unterkünfte für die städtischen Torfhüter. Zeitweise war dort auch eine Schäferei untergebracht. Um 1875 kauft der Gärtner Johannes Kräß das Haus Nr. 74. Seine Familie erwirbt später weitere Flächen und baut den Gartenbaubetrieb aus. Die Gärtnerei ist inzwischen aufgegeben, Anfang 2024 standen jedoch noch die Gewächshäuser.

Das Anwesen Ausserhalb Nr. 75 trägt ab 1910 die Bezeichnung "Unterer Riedhof". Es besteht neben dem Wohnhaus aus einer Scheuer und einem Stallgebäude, ist von der Stadt an mehrere Bauern verpachtet und dient überwiegend dazu die ärmste Bevölkerungschicht der Stadt mit Lebensmittel zu versorgen.
Mit Gründung des Industriegebiets Donautal bekam der Untere Riedhof noch die Adresse Heuweg 8, er wurde dann aber für die bald notwendige Erweiterung aufgegeben.

Im Haus Ausserhalb 91 war seit Anfang der 1870er Jahre die sog. Kleemeisterei untergebracht. Aufgabe eines Kleemeisters war es, tote Tiere abzuholen, zu verwerten und zu entsorgen. Neben den Scharfrichtern galten die Klee- oder Wasenmeister, auch Abdecker genannt, als "unehrlich" und wurden von der Bevölkerung gemieden.
Wegen der mit ihrer Tätigkeit verbundenen Geruchsbelästigung und der Seuchengefahr (Milzbrand) lagen die Kleemeistereien ausserhalb der Stadt. Der letzte Ulmer Kleemeister Jakob Mürdel war auch Tierarzt. Um 1885 kommt zu dem Anwesen die Parzelle Nr. 93 dazu. Seit 1921 bis in den 2.Weltkrieg wird das Haus als städtische Kadaversammelstelle geführt.

Ausserhalb Nr. 94 war wie das Haus Nr. 75 eine der Stadt gehörende Schäferei, ist aber schon spätestens 1878 als "Oberer Riedhof" bekannt. Der Besitz geht 1892 in die Landarmenbehörde für den Donaukreis über, die dort eine Arbeiter-Kolonie und Armenanstalt einrichtet.
Nach dem Ersten Weltkrieg gehört die Einrichtung dem Landesfürsorgeverband, die Bezeichnung wechselt in Landesfürsorgeanstalt. Untergebracht sind obdachlose, alte, körperlich und geistig beeinträchtigte Menschen beiderlei Geschlechts. Aber schon bald wird deutlich, was die Machthaber im Dritten Reich unter Fürsorge verstehen. Als erbbiologisch unwerte Wesen werden die Bewohner mit Zwangssterilisation bedroht. 1940 verlegt man in zwei Aktionen über 50 Menschen in die Anstalt Grafeneck um sie dort zu ermorden.
An der Stelle des Oberen Reidhofs stehen heute die Anlagen der Firma TEVA (ratiopharm).

Ab 1907 wird die Siedlung rund um die 1876 eröffnete Wirtschaft z. Donautal (Ausserhalb Nr. 92) und dem Bahnwärterhaus 118, dem späteren Haltepunkt Donautal, mit einer eigenen Ortsbezeichnung "Donautal" geführt. Der hier vorbei führende Abschnitt der Verbindung nach Ehingen erhält 1935 die Bezeichnung Donautalstraße.

Der Anfang zwischen Bosch- und Daimlerstraße
Unmittelbar nach Ende des 2.WK wird im Rahmen des Neuaufbaus der Stadt die Erschließung neuer Industriegebiete diskutiert. Im Gespräch waren Flächen in der Friedrichsau, am Safranberg, im Blau- und im Donautal. Erweiterungen nach Jungingen und Richtung Beimerstetten (heutiges Industriegebiet Dornstadt -Süd/Exit 62 usw.) wurden dagegen verworfen. An erster Stelle der Wünsche stand die Vereinigung mit der Stadt Neu-Ulm. Dort sollte, im Osten der Stadt, rechts der Donau, ein von beiden Städten gemeinsam betriebenes Industriegebiet entstehen. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch (noch) am Widerspruch der bayerischen Regierung.

Die Behebung von Kriegsschäden, die Neuorganisation der Gesellschaft und die Lösung von Schwierigkeiten beim Anlaufen der Nachkriegswirtschaft setzten zwar erst einmal andere Schwerpunkte. Aber schon 1948 griff man eine Idee aus dem Generalbebauungsplan von 1925 wieder auf und erarbeitete einen Erschließlungsplan für das Ried im Donautal. Das Vorhaben stieß auf große Probleme, das Gelände musste wegen des morastigen Bodens um ca. 2,5 Meter aufgefüllt und vor Überschwemmungen aus der Donau geschützt werden. Zudem liegt das Gebiet in Hauptwindrichtung zur Innenstadt, sodass Geruchsbelästigungen befürchtet wurden.

1950 konnte mit der Erschließung des Industriegebiets Donautal als eine von mehreren Maßnahmen der sog. Notstandsarbeiten, mit denen die Arbeitslosigkeit besonders unter den vielen Flüchtlingen bekämpft werden sollte, begonnen werden. Geplant war die Vergabe der Grundstücke hauptsächlich an Firmen, die sich neu in Ulm ansiedeln. Altansässige Unternehmen hatte man, sofern ihre Werkanlagen durch den Krieg zerstört waren, provisorisch in den vielen Ulmer Kasernen untergebracht, sie sollten nach dem Wiederaufbau an ihre früheren Standorte zurückkehren.

Das Interesse, sich im Donautal niederzulassen, war anfangs allerdings sehr begrenzt. Die Grundstücke lagen zu weit ausserhalb der Stadt und die Straßenanbindung war noch mangelhaft.

Im Frühjahr 1951 wurde dann bekannt, dass die US-Armee fast alle Ulmer Kasernen für eigene Truppen beansprucht und die Anlagen bis Ende 1953 vollständig zu räumen sind. Kleinere Betriebe versuchte man, in den Gewerbegebieten nördlich der Karlstraße, an der Einsteinstraße, in Söflingen und auf anderen städtischen Grundstücken unterzubringen. Für größere Unternehmen musste man doch auf das Donautal ausweichen. Sie beanspruchten damit größere Bereiche als geplant vom eigentlich für Neuansiedlungen vorgesehenen Gelände.

Einen Teil der von Ulmer Unternehmen angestrebten Betriebserweiterungen (Kässbohrer, Magirus) konnte im bestehenden Industriegebiet in der Weststadt realisiert werden. Bei anderen Betrieben, die, wie die Hüttenwerke Ulm, für die dortigen Anwohner besonders belastend waren, gelang eine Umsiedlung ins Donautal.


Boschstraße

Zu den ersten Betrieben im Donautal zählt die Metallwaren- und Schraubenfabrik von
→ Gottlieb Brehm
in der Boschstr. 1. Ihm gegenüber (Nr. 2) siedelte sich eine Tuchfabrik an, die nicht lange bestand und 1964 vom Söflinger Weberei-Unternehmer Deschler übernommen wurde. Ab 1977 hatte hier die Funkeletronik GmbH ihren Sitz.

Ebenfalls im Nordteil der Boschstraße hatte sich eine Leichtbau-Firma angesiedelt deren Inhaber 1964 einen Eisenwaren-Importeur mit dem Namen Kress & Kastner als Mieter aufnahmen. Werner Kress und Eberhard Kastner verkaufen Gartengeräte mehrerer ausländischer Hersteller, widmen sich wenige Jahre später der Produktion eigener Bewässerungsgeräte und gründen die Firma
→ Gardena
, die den Industriestandort Ulm seither weltweit repräsentiert. Der Standort Boschstr. 5 wird 1982 aufgegeben.

Wenig bekannt ist über die chemisch-technische Fabrik von Erich Pokahr in der Boschstr. 12. Unter dem Firmennamen "Erpolin" wurde hier bis 1980 produziert, danach ging das Firmengelände an das benachbarte Bauunternehmen Heim. Ebenfalls von Heim aufgekauft wurde die Parzelle Boschstr. 10, in der sich bei Gründung des Industriegebiets die Herrenkleiderfabrik "Sportling" G.Krömer niedergelassen hatte.

Etwas mehr weiß man über die Damenwäschefabrik Südtrikot Mendrzyck & Schmusch, in der Boschstraße Nr. 17. Der Betrieb wurde Mitte der 1960er Jahre von der Triumph AG aus München übernommen und produzierte Unterwäsche und Bademoden für die Frau. 1976 zog das Unternehmen nach Böfingen in die Eberhard-Fickh-Straße.

Vor dem Umzug in die Boschstr. 22 im Jahr 1960 war die Jagd- und Sportwaffenfabrik
→ Krieghoff
kurzzeitig in der Daimlerstraße untergebracht. Krieghoff ist eines der typischen Beispiele für das Schicksal von Unternehmen in der ehemals sowjetisch besetzten Zone, die eine neue Heimat in Ulm fanden.

Das vorläufige Ende des Ausbaus der Boschstraße markierte dann die Ansiedelung der Firma
→ Abt-Druck
(Nr. 26) Mitte der 1970er Jahre.

Welche Bedeutung das neu zu erschließende Industriegebiet Donautal auch für die Bauindustrie hatte wird durch die Ansiedelung mehrerer Bauunternehmen im Umfeld der Boschstraße deutlich. Hier nahmen die Firmen Raizner (Nr. 8), Heim (Nr. 14) und Geiger (Nr. 16) ihren Sitz.


List- und Hohnerstraße

Zu den ersten Betrieben im neuen Industriegebiet gehörte die Werkzeugmaschinenfabrik Hermann Becker. Das Unternehmen mit Sitz in der Liststr. 4 stellte bis zur Liquidation 2006 Sondermaschinen und Fertigungssysteme her.

Der in der Boschstraße gegründete Hersteller von Gartengeräten Gardena benötigte bald neue Flächen und produzierte zwischen 1970 und 1976 in einem Gebäude in der Liststraße 5.

Ebenfalls zu den Pionieren im Donautal zählt die
→ Eugen Laible KG
, ein Hersteller von Badeöfen, mit einem Werk in der Liststraße 11. Laible übernahm zwar 1972 noch den Nürtiger Kältekompressorenhersteller Göldner, ging dann aber Ende der 1970er Jahre in Konkurs. Sitz der Firma Laible war die direkt angrenzende Hohnerstr. 6-8.

Die Hohnerstraße bildet bezüglich der Liststraße eine rückwärtige Verbindung zwischen der Bosch- und der Daimlerstraße.
Anlieger waren Betriebsteile der Unternehmen F.X.Kögel (Hohnerstr. 2) und E.Laible (Hohnerstr. 6-8). Auf der Südseite der Straße hat seit 1960 der Stahlgroßhandel Jacob Bek seinen Sitz.


Daimlerstraße

Nur noch wenigen Beschäftigten der Betriebe im Donautal ist die Wirtschaft "Jägerhaus" in Erinnerung. Neben der Gastronomie im Schlachthof war die Daimlerstraße 2 lange eine der wichtigsten Adressen, wenn man Firmengäste zum Essen einladen wollte.

Von Ende der 1950er bis in die Mitte der 1970er Jahre hatte in der Daimlerstraße 6 die Färberei Fläming ihr Domizil. Heute produziert auf dem Gelände ein großer Metallbaubetrieb in neuen Hallen Fasadenteile und Komponenten für den Fahrzeug- und Anlagenbau.

Für den aus Zella-Mehlis stammenden Sportwaffenhersteller
→ Anschütz
wurde das neue Industriegebiet Donautal zur neuen Heimat.
Die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der DDR, Demontage des Werks und Verstaatlichung des Unternehmens, zwangen die Firmeninhaber zur "Republik-Flucht". Ein erster Neuanfang gelang in Räumen der Donaubastion, die aber im Zuge der Belegung der Ulmer Kasernen durch die US-Armee bald wieder geräumt werden mussten. Die Stadtverwaltung konnte einen Bauplatz in der Daimlerstraße 12 anbieten, wo das Unternehmen heute noch seinen Sitz hat.

1934 übernimmt Franz Xaver Kögel den Betrieb seines Lehrherren in der Neu-Ulmer Kepplerstraße. Schon drei Jahre später beschäftigt er zehn Mitarbeiter und zieht in einen Neubau in der Ulmer Blaubeurer Straße, der jedoch im 2.WK zerstört wird. Zwischen 1946 und 1956 werden die
→ F.X.Kögel Fahrzeugwerke
, wie mehrere andere ausgebombte Betriebe, im ehemaligen Heereszeugsamt in der Söflingerstraße untergebracht. Die Fertigung in der Blaubeurer Straße wird in einem Provisorium wieder aufgenommen. Mit Gründung des Industriegebiets im Donautal kann dann 1956 der Betrieb in einer neuen Fabrikanlage auf einem Eckgrundstück zwischen Hohnerstraße und Daimlerstraße zusammengeführt werden.
1969 gründet Kögel zusammen mit Karl Weinmann die KAMAG (Karlsdorfer Maschinenbau Gesellschaft), einen Hersteller von Spezialfahrzeugen. Deren Produktion zog ein Jahr nach der Gründung vom Karlsdorfer Kögel-Werk auf ein benachbartes Grundstück zwischen der List- und der Daimerstraße3. Unter neuen Besitzern ist dieses Unternehmen heute noch dort ansässig.
Im Jahr 2004 gehen die Kögel Fahrzeugwerke AG in Insolvenz und werden unter der Regie eines Investors nach Burtenbach verlegt. 2009 übernimmt der Anhängerhersteller Humbaur das erneut involvente Unternehmen und betreibt seither das Werk in Burtenbach erfolgreich als eigene Sparte weiter.

Über 300 Jahre lang war die Gegend um den Metzgerturm herum das Quartier der Ulmer Metzger. 1883 ließ die Stadt ein neues zentrales Schlachthaus an der Olgastraße nördlich der Pionierkaserne errichten. Zu jener Zeit lag dieses Gebiet noch am Rande der Stadt und wurde überwiegend militärisch und industriell genutzt. Nach dem 2.WK genügte die Anlage den Ansprüchen an Hygiene und Tierschutz nicht mehr. Die vom Schlachtbetrieb ausgehenden Emissionen machten sich in der weiter wachsenden Oststadt störend bemerkbar. Der städtische Schlachthof zog daher 1968 in einen Neubau im Industriegebiet Donautal. Der Betrieb wurde 1999 privatisiert und gehört ab da als "Ulmer Fleisch" zur Birkenfelder Müller Fleisch Gruppe. Die Steinbeisstraße (Nr.17) in der der Schlachthof heute noch liegt, wurde bereits Anfang der 1960er Jahre angelegt aber erst später bebaut.

Eine bewegte Vergangenheit hat das Metallschmelzwerk in der Daimlerstraße 20.
Um 1885 gründen die Brüder Nathan und Wolf Srauß in der Syrlinstraße gemeinsam einen Altmetall-Handel. Zehn Jahre später trennen sie sich. Wolf Strauß zieht in die Wengenstraße und richtet ein Schrottlager am Ostbahnhof ein. Nathan Strauß bleibt in der Syrlinstraße und erweitert später seinen Betrieb am Westgleis um ein Metallschmelzwerk.

Kurz nach der Jahrhundertwende haben die Söhne der beiden Firmengründer die Leitung übernommen. Julius Strauß baut den Betrieb seines Vaters Nathan zu einem Hammer- Zieh- und Walzwerk aus. Nach dem Ersten Weltkrieg entstehen daraus die
→ Hüttenwerke Ulm AG
.

Louis Strauß, Sohn von Wolf S., beschäftigt sich neben dem Metallhandel mit der Produktion von Lötzinn und Lagermetallen. Er nimmt nach dem Ersten Weltkrieg Max Sternweiler als Teilhaber auf, der den Betrieb wenige Jahre später vollständig übernimmt und damit in die Blaubeurer Str. 71 zieht. Sternweiler gründet 1928 in Schmiechen bei Schelklingen auch eine Schraubenfabrik und Fassondreherei, verlegt diese dann aber bald nach Ulm und führt beide Unternehmen unter dem Namen
→ Ulmer Schraubenfabrik Fervor
zusammen.

Jüdische Unternehmer-Schicksale in Ulm


Mitte der 1930er Jahre wird der Judenhass zum allgemeinen Gedankengut, die aus dem Schrotthandel der beiden Strauß-Brüdern hervorgegangenen Unternehmen werden arisiert. Das Ulmer Adressbuch von 1939 unterscheidet nun zwischen Menschen mit dem Namen Strauß, die weiter im Personenregister geführt werden dürfen, und einem 82 Einträge umfassenden "Verzeichnis der jüdischen Einwohner", in dem auch Louis Wolf Israel Strauß geführt wird. Julius Strauß taucht dagegen schon nicht mehr im Adressbuch auf. Seine Hüttenwerke sind inzwischen in den Besitz der bis dahin unbekannten Firma
→ Neubronner & Sellin
übergegangen.

Die einst als kriegswichtig eingestufte Schrottverwertung Neubronner & Sellin kann nach dem Krieg in der Magirusstraße 41 weitergeführt werden, heißt aber ab 1957 Hüttenwerke Ulm GmbH. Die Stadtverwaltung will diesen störenden Betrieb so schnell wie möglich aus der Weststadt weg haben und unterstützt daher die Verlegung ins Donautal, in die Daimlerstraße 20. 1980 wird das Unternehmen erneut umbenannt in Metallschmelzwerk Ulm MSU. Seit 2015 gehören die Anlagen als Wieland Recycling GmbH zum benachbarten Wieland-Konzern.

Der Unternehmer Constantin Rauch übernimmt 1938 die Schraubenfabrik Fervor von Sternweiler. Nach dem 2.WK wird er sich an weiteren Unternehmen beteiligen (Schacht-Objektive, Metallwerke Glockerau) und die Firma Hydromatik gründen. Mit diesen Betrieben belegt Rauch auch Räume im Industriegebiet Donautal (Liststr. 3, Daimlerstr. 14), baut aber gleichzeitig in Oberelchingen seine Produktion aus. Hydromatik wird nach mehreren Zwischenstationen und Unternehmenswechseln zum heutigen Bosch Rexroth Werk im Elchinger Gewerbegebiet Glockerau.

Im aufstrebenden Nachkriegsdeutschland ist Rauch ein angesehener Mann. Ein von Max Sternweilers Erben eingeleitetes Wiedergutmachungsverfahren hat keine negativen Auswirkungen auf seinen Ruf.
Die Frage, wie weit die Aktivitäten Rauchs und anderer bekannter Ulmer Unternehmer während der Zeit des NS-Regimes heute moralisch anders bewertet würden als kurz nach dem Krieg, bleibt bis auf Weiteres offen.

Das Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg Ulm als zentrale Erinnerungs-, Lern- und Bildungseinrichtung über die Zeit des Nationalsozialismus beschäftig sich zwar intensiv mit einer allgemeinen Erinnerungskultur und mit persönlichen Schicksalen. Eine Erforschung und Aufarbeitung von wirtschaftlichen Entwicklungen, den Schicksalen einzelner jüdischer Unternehmer-Familien und die Rolle von heute teilweise noch bekannten und aktiven Unternehmen bei der Arisierung der deutschen Industrie hat bisher jedoch nicht stattgefunden.
Dass die Arbeit des DZOK durch großzügige finanzielle Beiträgen angesehener Ulmer Wirtschafts-Persönlichkeiten gefördert wird spielt in dem Zusammenhang hoffentlich keine Rolle, gibt aber zu denken.4
Damit bleiben die Folgen des Nationalsozialismus z.B. für die Gebr. Eckstein und deren Backmalzfabrik, für Heinr. Mittelberger und seinen Druck- und Verlagshaus Hochlehnert, für den Gustav Wiederkehr Verlag, die Schürzenfabrik der Brüder Dannhaus, die Schirmfabrik Emil Friedmann und vieler anderer vorerst weiter unbeachtet.

Mit welcher Hybris man der Ulmer NS-Vergangenheit begegnet zeigt auch das Beispiel der Magirus-Deutz-Straße, die das Quartier "Stadtregal" erschließt. Mit der Magirusstraße wird der zweifellos ehrenhafte Unternehmensgründer Conrad Dietrich Magirus gewürdigt. Magirus-Deutz dagegen ist ein Produkt der NS-Wirtschaftspolitik. In diesem Unternehmen, Magirus gehörte seit 1936 zu Klöckner-Humbold-Deutz (KHD), wurden im großen Umfang Kriegsmaterial hergestellt und Zwangsarbeiter beschäftigt. Der Gründungsrektor der Universität Ulm verlor wegen seiner Machenschaften im Dritten Reich die Ehre einer nach ihn benannten Straße. Die Vorgeschichte des Markennamens Magirus-Deutz bleibt dagegen im Hintergrund. Im Vordergrund der Straßenbenennung, die nach der Jahrtausendwende erfolgte, steht der Arbeitgeber, der in der Nachkriegszeit der Ulmer Bevölkerung Wohlstand gebracht und den Ruhm der Stadt in die Welt getragen hat.

Über den Heuweg bis zum Vollausbau
Der Aufschwung während der deutschen Wirtschaftswunderjahre sorgte bald für eine rege Nachfrage an Industrieflächen so daß das anfangs auf den östlichen Bereich zwischen Südbahn und Daimlerstraße begrenzte Gebiet nach Westen über den Heuweg hinaus erweitert werden musste.
Drängend wurde das Flächenproblem, als 1964 bekannt wurde, dass die Firma Klöckner-Humbold-Deutz (KHD) im Donautal ein neues Motorenwerk errichten möchte. Die Stadt kündigte deshalb dem Pächter des ihr gehörenden Unteren Riedhofs und nahm Verhandlungen mit dem Besitzer des Landesaltenheims Oberer Riedhof auf um deren landwirtschaftliche Flächen zu übernehmen.
1967 konnte die Erweiterung durch Gebietstausch mit der Nachbargemeine Einsingen abgerundet werden, 1968 nimmt KHD im neuen Motorenwerk die Produktion auf.

Plan 1974 - anklicken zum Vergrößern

Neue Straßen kamen in den Folgejahren dazu. Mitte der 1960er Jahre wurden in einer ersten Phase die Benz-, Dornier- und Maybachstraße angelegt die jeweils über die Diesel- und die Nikolaus-Otto-Straße erschlossen werden.
1969 folgen die Siemens- und die Voithstraße südlich der Steinbeisstraße. Durch die inzwischen eingetretene konjunkturelle Schwäche zieht sich deren Ausbau allerdings etwas hin.
Mit der Lichternseestraße bekommt das Industriegebiet 1980 einen südlichen Anschluß an die Kreisstraße nach Wiblingen, die die B30 zum Bodensee und die B311 in den Schwarzwald miteinander verbindet. Zehn Jahre später wird die Lichternseestraße umbenannt in Hans-Lorenser-Straße.


Rund um den Oberen Riedhof

Die östlich gelegenen Gemeindeflächen von Einsingen, die wie das Taube Ried früher zur Torfgewinnung genutzt wurden, trugen nach der Eingemeindung 1974 erheblich zur Erweiterung des Industriegebiets Donautal bei. Ausser dem großen Motorenwerk war nun auch Platz für ein neues Lkw-Werk und ein Farbbildröhrenwerk von AEG-Telefunken. Fünf Jahre nach dem Motorenwerk nimmt Magirus westlich davon eine 600m lange Montagehalle in Betrieb, Ulm hat damit das modernste Lkw-Werk Europas.

Der Obere Riedhof wurde 1974 geschlossen, die dort noch untergebrachten Bewohner zogen in den neuen Tannenhof um.
Die Wohngebäude nutzte man jedoch noch bis 1978 als Gastarbeiterwohnungen. In andere Teile des Riedhof zog die Firma
→ Merckle
aus Blaubeuren ein. Diesen Standort, nun als Graf-Arco-Straße 3 bezeichnet, baute Merckle bis 1998 zum Firmensitz des Generikaherstellers ratiopharm aus.


Nördlich der Lichternseestraße

1967 richtet Willi Utz in der Dieselstraße 3 eine neues Werk für sein
→ UZIN
Klebstoff ein. Sein Vater Georg hat 1919 mit einer Wachswaren- und Seifenproduktion in der ehemaligen →Malzfabrik von Murschel & Co. begonnen, ist dann aber schnell in die Fischergasse 6 umgezogen. Die chemisch-technische Fabrik G.Utz KG bleibt dort bis 1961. Der Erfolg des Klebstoffs Uzin leiten dann eine bis heute andauerende Phase des Wachstums ein.

Mit der Erweiterung des Industriegebiets um den Bereich zwischen Diesel- und Lichternseestraße wird auch Platz für einen Neubau der Firma
→ Gardena
. Sie zieht von der Boschstraße in die neue Adresse Lichternseestraße 40 um.
Auch die Firma
→ Seeberger
kehrt nach einem Intermezzo in der Neu-Ulmer Baumgartenstraße nach Ulm zurück und siedelt sich neben Gardena in der Lichternseestr. 36 an.

Im Jahr 1982 ziehen die Wieland-Werke vom Berliner Platz (heute Willy-Brandt-Platz)in das Industriegebiet Donautal. Neben neuen Werkhallen für die Produktion entsteht in der Graf-Arco-Straße 36 auch ein modernes Verwaltungsgebäude für den Firmensitz. Wie die gesamte Unternehmensgeschichte ist auch dieser Schritt in einer →Dokumentation zum 200-jährigen Jubiläum ausführlich beschrieben.

Ebenfalls seit 1982 steht in der Siemensstraße 10 das Druckhaus Ulm-Oberschwaben. In dieser gemeinsam vom Schwäbischen Verlag Ravensburg und der Neuen Pressegesellschaft Ulm gegründeten und betriebenen Großdruckerei werden täglich die Schwäbische Zeitung, die Südwest Presse sowie andere Tages- und Wochenzeitungen gedruckt.

Der letzte Ausbauschritt im Industriegebiet Donautal erfolgte 1987 mit der Ausweisung der Ernst-Abbè-Straße im äußersten Südwesten, nahe des Ulmer Ortsteils Einsingen. Die Nikolaus-Otto-Straße und die nun Hans-Lorenser-Straße heißende Lichternseestraße werden nach Westen erweitert. Ab diesem Zeitpunkt ist die Entwicklung dieses Standorts abgeschlossen. Da er im Norden von den steilen Grimmelfinger Hängen, in den anderen Richtungen von Naturschutzgebieten umgeben ist kann er nicht über den heutigen Stand hinaus erweitert werden.

Die Industriegleise im Donautal


derzeit in Arbeit


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Quellen:
1: Werner Konold - Wasserbewirtschaftung und Wasserbau in Oberschwaben bis ins 19.Jahrhundert, in: Von der Krise des 17.Jahrhunderts bis zur frühen Industrialisierung, Sigrid Hirbodian u. Edwin E. Weber(Hrsg.), Kohlhammer, 2022
2: Oberamtsbeschreibung Ulm 1897
3:Dieter Mutard et al. - F.X.K. Franz Xaver Kögel Ein Leben für das Unternehmen Kögel Fahrzeugwerke AG →Literaturliste Biografien
4: Zitat Dr. Silvester Lechner, Begründer und langjähriger Leiter des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg, zum Tod von Eberhard Ebner: "Seine Offenheit und Gesprächsbereitschaft machten ihn seit Jahrzehnten zum wertvollen Begleiter des Auf- und Ausbaus des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg. Dessen Arbeit unterstützte er überdies mit großzügigen finanziellen Beiträgen.", aus: „Ich danke dir, Eberhard“ – Persönliche Erinnerungen an den Verleger der SÜDWEST PRESSE, erschienen online am 02. April 2024, https://www.swp.de/lokales/ulm/zum-tod-von-eberhard-ebner-_ich-danke-dir_-eberhard_-_-persoenliche-erinnerungen-an-den-verleger-der-suedwest-presse-73458065.html


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