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Die Stadt Ulm und die Illerflößerei

Von Kaplan J. B ä r t l e, Allmendingen
Von der Arbeit der Flößer.
Noch vor 25 Jahren hatte das Ulmer Straßenbild einen wuchtigen Mannestyp aufzuweisen, der einstens für die Stadt Ulm eine wichtige Rolle gespielt hatte und unterdessen voll-ständig verschwunden ist, den I l l e r f l ö ß e r.  Im Jahre 1869 waren noch 3129 Illerflöße zu Ulm angekommen, 1875 noch 2481, 1900 nur noch 667. Der Illerflößer hob sich deut-lich aus der Masse der Fußgänger ab. Er hatte seine beson-dere Note durch seine mächtigen Stiefel, die im Notfalle auch über die Oberschenkel gezogen werden konnten, beim Gehen auf der Straße aber außen abwärts gestülpt werden konnten, durch seine hellgrüne Wolljacke, durch seine wasserdichte Le-dertasche mit Messingschloß, durch das zusammengerollte Seil, das er mit einer Axt oder einem langen Bohrer über die Achsel gestützt auf den Rücken trug. Die Flößer stellten eine besondere Berufsgruppe von scharf geprägter Eigenart dar. Sie scheinen etwas an sich zu tragen von dem Hauche des hellblauen, frischen Illerwassers, von dem Dufte der Hanf-seile, der frisch geschnittenen Bretter und der harzigen All-gäuer Fichtenstämme. Der Flößer, der mit seinen Werkzeu-gen sicheren und schweren Schrittes durch die Straßen ging, hatte nun die Gefahren und Mühen seiner Fahrt hinter sich und suchte bei einem guten Mittagessen körperliche Stärkung und Erfrischung.    Einen langen Bohrer trug der Flößer bei sich, weil er auf der Fahrt ab und zu Ausbesserungen an sei-nem Floße vorzunehmen hatte. Die Langholzstämme, 30 - 40 an der Zahl, wurden durch Querstangen, Weiden und birken-hölzerne Nägel, die vorgebohrt werden mußten, zusammen-gehalten. Das Seil brauchte der Flößer zum Anlanden.
Wenn er in die Nähe der Ulmer Lände kam, so gab er durch Rufen dem Donauzoller ein Zeichen, worauf dieser sich mit seinem Gehilfen, gewöhnlich seiner Frau und seinen Kindern, am Ufer aufstellte, um das ihm vom Floße aus zugeworfene Seil eiligst an einem Pfahle anzubinden. In der Ledertasche trug der Flößer außer Kleidungsstücken und einem Mund-vorrat einige birkenhölzerne Nägel, etliche Stricke und eine Holztafel mit dem Namen des Floßherren.
      Die Holztafel mußte währen der Fahrt an sichtbarer
Stelle auf dem Floße befestigt werden, damit der Flußauf-seher bei etwaiger Beschädigung der Uferdämme durch einen Floß den Namen des verantwortlichen Floßführers feststellen konnte. Name und Wohnort des Floßherren waren ganz aus-geschrieben. Man kannte damals noch nicht die heute ge-bräuchlichen und ähnlichen Zwecken dienenden Abkürzungen auf der Rückwand der Kraftwagen, die unsere Straßen durch-rattern. Die Stricke brauchte der Flößer notwendig, wenn er bei schlechtem Wasserstand mit seinem Floße auf eine Kiesbank aufzusitzen kam. Dem Floß wurde ein sog. "Hund" vorgespannt, d.h. der Flößer spannte mit Stricken und einem
Seile ein Bretterbüschel quer über das Wasser vor das Floß, um die ganze Triebkraft des Wassers auszunützen. Die Tasche des Flößers war aus Leder, weil sie dadurch gegen Durchnässung geschützt sein sollte. Wie oft kam es vor, daß ein Floß an einen Felsen gerissen wurde. Ueberaus gefürch-tet war die alte Dietenheimer Brücke, welche zu viele Joche hatte, recht niedrig war und das Wasser wie durch einen Strudel hindurchfließen ließ. Hier hatte jeder Flößer sein Meisterstück abzulegen. Hier sind Hunderte von Flößen zer-schellt.  Wenn, nebenbei gesagt, ein kleines Floß zerrissen wurde, so handelte es sich um einen Wert von 3  ̶  400 Mark,
je nachdem es mit Langholz, Scheitern oder Bretter beladen war, wenn ein Doppelfloß, d. h. ein von 2 Mann, dem Ober-flößer und dem Nachknecht bedientes Floß zerrissen wurde, so war ein Wert von 6  ̶  700 Mark vernichtet.     Etwas Aehn-
liches wie eine Transportversicherung gab es damals noch nicht. So sah sich der Flößer auf die Gunst des Schicksales wie auf die gelenke Kraft seiner Arme angewiesen. Die Flößerei war stets mit Lebensgefahr verbunden. Aus der Gemeinde Aitrach OA. Leutkirch sind im jahre 1837  ̶  83
nicht weniger als 7 Flößer bei Ausübung ihres Berufes er-trunken.     Heinrich Hansjakob er zählt in seinem "Theodor"
von den Flößern des Kinzigtals, daß sie stets vor Beginn
der Arbeit das Haupt entblößen, das Kreuzeszeichen machen und ein Vaterunser beten.    Und er erzählt von der Frau
eines Flößers, die jeden Abend mit ihren 14 Kindern den Rosenkranz betete um eine glückliche Heimkehr des Vaters, der seine Riesenstämme bis Holland beförderte. Ganz ähnlich hielten es die Illerflößer und deren Frauen und Kinder.
  Die Illerflößer waren die Holzlieferanten für die Ulmer Holzhändler, Zimmermeister, Schreinermeister, Bäcker und Bierbrauer. Sie brachten Langholz, Bretter, Scheiter und
früher auch Holzkohlen in die Donaustadt. Mit den alten Ul-mer Holzhändlerfamilien B u c k, G a g s t ä d t e r, G l a s e r, H ä ge l e, K o c h, M o l f e n t e r, R u e ß, M a y s e r und
S c h e i f f e l e standen die Flößer in enger Geschäftsverbin-dung.   Aus K e m p t e n kamen in zweitägiger Fahrt die
Flöße der bekannten Flößerfamilien R i e d l e, S c h n e t z e r und H e i n z. Dutzende von Floßknechten aus dem ganzen Illertale arbeiteten bei diesen Kemptener Floßherrn.    Nach
Art der mittelalterlichen Zünfte legten die Kemptener Flößer allen Wert auf Pflege eines gesunden Standesbewußtseins und auf Förderung der beruflichen Tüchtigkeit. Durch ihre Kunst und Geschicklichkeit imponierten sie allen Kollegen, die illerabwärts ihr Handwerk ausübten. Es war ein ungeschrie-benes, selbstverständliches Gesetz, daß man den Kemptener Flößern auf der Iller stets ausweichen mußte. Ebenso selbst-verständlich war es, daß die Kemptener Flößer in ihren

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Flößerherbergen zu Ulm und Neu-Ulm ihren eigenen Stamm-tisch hatten. Die Kemptener Stadtflößer hatten Sinn für "saubere Arbeit".   Wer bei einem Kemptener Floßherrn ettliche Jahre mit Erfolg gedient hatte, der konnte nachher als Oberknecht überall eine gute Stellung erhalten. Die Familie Schnetzer aus Kempten befaßte sich lange Zeit hindurch mit Käsetransport. Nur durchaus zuverlässigen Floßführern konnte man diese Käseladung anvertrauen, die in der Regel am Donnerstag früh in Kempten wegfuhren und, wenn kein Unfall eintrat, am Freitag nachmittag zu Ulm ankamen. Als einmal durch einen unglücklichen Zufall ein so befrachtetes Schiff auf einen Felsen auffuhr, fielen die Fässer ins Wasser und versanken. Andere Floßführer waren aus A l t u s r i e d (Kienle), K r u g z e l l (Abele, Bohneberger), L e g a u (Graf), A i t r a c h (Ganasch, Wagner, Wachter), M o o s h a u s e n (Barscher, Diem), T a n n h e i m (Locher), B e r k h e i m (Gopper), E r o l z h e i m (Fleck), K i r c h b e r g (Kracker, Schaupp), S i n n i n g e n (Buhler, Walker), B a l z h e i m (Rommel, Scheuffele, Walcher), B r a n d e n b u r g (Graf). Mitunter kamen an einem Tage 30  ̶  40 Flöße zu Ulm an. Dann war Hochbetrieb, zumal beim Donauzoller an der Zie-gellände.   Die Flöße wurden gelandet und ihrer Last (Bret-
ter, Latten, Brennholz) entledigt. Dann gab der Donauzoller das Kommando "Hinab mit dem Floß ins Schleifloch!". An dieser Stelle, die ettliche hundert Meter unterhalb der An-landestelle war, wurden die Stämme auseinandergehauen, auf den Schleifkarren geladen und mit Pferden ans Land ge-zogen. Die mächtigen Holzlager, die sich von der Wirtschaft zur "Gifthütte" an über den Platz, wo heute die Fabrikan-
lagen von Magirus stehen, sich ausdehnten bis an das Blau-beurer Tor, füllten sich mit Langholz und die "Spänhauer",
wie die Zimmerleute genannt wurden, bekamen wieder Arbeit. Ihr Lohn bestand in den abfallenden Spänen, die sie in Büschel banden und an die Bäcker verkauften. Bei guten Leistungen bekamen sie als Zulage noch Biermarken. In der Natur der Sache liegt es, daß die meisten Flöße in den Som-mermonaten nach Ulm kamen.  Bei der strengen Winter-
kälte, bei der die Iller mitunter einfror, mußte die Flößerei
in der Hauptsache ruhen. Die Flößer suchten wenigstens noch auf den St. Nikolausmarkt nach Ulm zu kommen um sich neben anderem für den Winter ein genügendes Quantum Rauchtabak Marke "Schwarzer Reiter", einzukaufen. Beim Kaufmann Nübling neben der Schranne bekamen sie das Päcklein gerade um einen Kreuzer billiger als auf dem Dorfe. Während des Winters brachten die Flößer ihre Seile, Boh-
rer, Beile und anderen Werkzeuge wieder in Ordnung, hal-
fen mit beim Fällen und Heranführen des Langholzes und sehnten sich nach dem Frühling.    Wenn am Sonntag Oculi
[1] dritter Sonntag der Fasten-/Passionszeit

das Evangelium von der Teufelsaustreibung verlesen wurde, dann wußten die Flößer, daß die Zeit zum Verlassen der warmen Stube und zur Wiederaufnahme der Arbeit gekom-men sei.
Beim Donauzoller.
   Der Donauzoller, der auch Dammgeldeinnehmer, An-ländegeldeinnehmer, Weidenhüter und Förge genannt wurde, hatte in amtlicher Eigenschaft im Auftrag der Stadt Ulm gar viel mit den Illerflößern zu schaffen. Einen Donauzoller gab es an der Ziegellände, an der Gänstorlände und früher auch an der Herdbruckertorlände.    Seine Amtsgewalt war viel-
seitig und berührte das Technische (Auffangen der Flöße), das Polizeiliche (Aufsicht über die Holzlagerplätze), sowie das Fi-nanzielle (Zolleinnahme).   Außerdem war er Wirtschaftsfüh-
rer und sah es nicht ungern, wenn die Flößer und Uferarbei-
ter zu einem Vespertrunk in seine Schenkstätte kamen. Falls die Flößer beim Anlanden der Flöße seinen Weisungen nicht folgen wollten, konnte er ungemütlich werden und unter Hin-weis auf seine amtliche stadtulmische Stellung die Drohung ausstoßen: "Ich ziehe meinen Kittel an und gehe aufs Rat-haus". Der Donauzoller hatte die Aufsicht über die "Vor-städter", wie noch vor 100 Jahren die Holzhändler und Schiffs-leute genannt wurden.   In seiner Vereidigungs- und Anstel-
lungsurkunde vom Jahre 1806 heißt es:  "Der Donauzoller muß wohl acht haben, daß im Kauf und Verkauf des Holzes und der Holzwaren überhaupt nicht gegen Ordnung und Ge-setz gehandelt werde, daß die Abgaben, welche der Stadt ge-hören, mit aller Aufmerksamkeit und Sorgfalt eingezogen und mit Gewissenhaftigkeit in ein Register eingeschrieben
werden und auf gleiche Weise dem Stadtkassieramt überlie-fert werden". In einer späteren Urkunde wird dem Donauzol-
ler ausdrücklich eingeschärft, "sich des Holzhandels gänzlich zu enthalten". Dies ergab sich aus seiner amtlichen Stellung.
    [  ...  ]    
Der Donauzoller an der Ziegellände scheint einige Zeit hindurch auch Inhaber einer Fähre gewesen zu sein und hatte noch vor etlichen Jahrzehnten die Aufsicht über ein ihm anvertrautes Rettungsschiff. Die beiden letzten Donauzoller, die im Jahre 1906 noch von der Stadtgemeinde Ulm angestellt wurden, waren Jakob M o l f e n t e r (Ziegellände) und Karl Z u b e r, Sohn des bekannten früheren Donauzollers Eduard Zuber (Gänstorlände). Etliche Jahrzehnte zuvor treffen wir die Namen Thomas H e i l b r o n n e r (Ziegellände) und Konrad M o l f e n t e r (Gänstorlände). Zwischen hinein finden wir das wichtige Amt in den Händen der Familie R o t h und K ä ß -
b o h r e r. Aus allem ergibt sich, daß der Donauzoller weitgehende Befugnisse und wenigstens zur Blütezeit der Illerflößerei ein schönes Einkommen hatte. Der Zoll betrug noch im Jahre 1862 "vom Verkäufer ¼ x. *) vom fl. Erlös, vom Käufer, sofern er hiesiger Einwohner ist und nicht Handel mit der betr. Sache treibt, 1/8 x. vom fl. Erlös, wenn dagegen ein Handel mit der betr. Sache betrieben wird, oder der Käufer kein hiesiger Einwohner ist, ¼ x. vom fl. Erlös"
[2] 1 Gulden (fl.) = 60 Kreuzer (x.)
.
    [  ...  ]    
Von dem Zollgeld oder Dammgeld, das ums Jahr 1860 jährlich im Durchschnitt 3400 fl. ausmachte, dagegen im Rechnungs-jahr 1899/1900 auf 1690 Mk.
[2] entspricht 986 Gulden (fl.)
und im Jahre 1906/07 gar auf 157 Mk. zurückgegangen war, bekam der Donauzoller 10%, außerdem hatte er freie Wohnung, bekam die Wirtschaft zum Vorzugspacht von 600 Mk., für Auffangen eines Floßes erhielt er 30 Pfg., für die Behandlung und Beaufsichtigung 40 Pfg., an Sachleistungen erhielt er von jedem Floß die Ruderbretter, den Hackenpfahl sowie den sog. "Tremmel" im Gesamtwert von 30 Pfg. Der Schopperplatz auf dem rechten Donauufer unterhalb der Eisenbahnbrücke ist wohl heute noch mit solchen Ruderbrettern eingezäunt, die einst einen wichtigen Einkommensbestandteil des Donauzollers gebildet hatten.
    [  ...  ]    
In den Flößerherbergen.
   Heinrich Hansjakob weiß zu berichten, daß die Flößer des Kinzigtales im Schwarzwald auf ihren Fahrten stets einen Logel
[3] ca. 60-80 Liter
Wein mit sich führten. Von den Illerflößern ist in die-ser Hinsicht zu sagen, daß der Iller entlang eine Reihe von Flößerherbergen waren, in denen sie sich wieder erfrischen konnten. Bekannte Flößerherbergen waren das "Rößle" zu Ferthofen, der "Hirsch" zu Mooshausen, das "Kreuz" zu Egel-see, der "Engel" zu Pleß, die "Steige" zu Kellmünz, das "Kreuz" zu Dietenheim, der "Mohren" zu Brandenburg.   Bei der schweren körperlichen Arbeit, welche die Flößer zu leisten hatten, ist es begreiflich, daß sie weder Verächter eines guten Bissens noch eines guten Trunkes waren. Bekannt waren die sog. "Flößerplätze".   Zu Ulm hatten die Flößer bestimmte
Lokale mit eigenem Stammtisch, über welchen nach dem Vor-bild der mittelalterlichen Zünfte ein naturgetreues Floß an
der Decke aufgehängt war. Mit der ihm eigenen Lebhaftigkeit und Anschaulichkeit wußte der kürzlich in Ulm verstorbene 80jährige Privatier Heinrich Buck
[4] Holzhändler, Teilhaber der Fa. Mayser u. Buck, Schillerstr. 52
  das Leben und Treiben
der Flößer in ihren Ulmer Herbergen zu schildern.   Vor 60 und 70 Jahren hatte er noch die alten Floßherren gesehen, die im Bewußtsein ihrer Bedeutung und ihres Besitztums mit Ringen an den Finngern und einem großen Siegelring im schwarz-seidenen Halstuch durch die Straßen zogen, etwa dem "Lämmle" oder dem "Mohren" oder dem unterdessen einge-gangenen "Wägnerle" zusteuernd, wo sie sich in der Regel
*) x. = Kreuzer; fl. = Gulden

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morgens 9  ̶  11 Uhr bei einem Glas Wein mit den Ulmer Holzhändlern trafen. Er erzählte, wie die Floßherren von da-mals in der Regel eine Kiste mit "besseren Kleidern" auf dem Floße mit sich führten, soweit sie nicht zu Ulm ein eigens Zimmer hatten.    Einmal war er selber dabei, als ein Floß-
herr, der offenbar ein gutes Geschäft gemacht hatte, eine Wirtsstube voll bayerischer Soldaten im "Hecht" einen ganzen Abend lang frei hielt. Flößerherbergen waren zu Ulm die "Krone", der "Storchen", der "Bock", der "Hohentwiel" und später namentlich die "Eisenbahn" von R. Dursch. Von Neu-Ulm sind zu nennen die "Löwenbrauerei" (Kölle) und das "Schiff", dessen Besitzer Ludwig Kienle aus der Kemptener Gegend gleich seiner Frau ein Riese von Gestalt war. Ueber seine kraftvolle Eigenart wußte Heinrich Buck manches zu berichten.
    Hatten die Flößer am Abend in ihrer Herberge sich die langen, nassen Stiefel ausgezogen und ihre Leiblichkeit ge-stärkt, so zündeten sie ihr Pfeiflein an, tauten auf, wurden gesprächig und gesellig.   Auch dem Ulmer Bürger erzählten sie nicht ungern von ihren Arbeiten und Erlebnissen. Ein Flößer aus dem Allgäu hub an und erzählte, wie er zur Zeit des Hochwassers und der Schneeschmelze mitten in dunkler Nacht mit seinen Floßknechten auf den Anmachplatz gegan-gen sei, um im Scheine der Sturmlaterne das Langholz landeinwärts zu schaffen, und so vor dem Fortschwimmen zu bewahren. Ein zweiter erzählte, wie er bei Hochwasser eine Fahrt angetreten habe. Das Floß wäre sonst unter dem An-prall der Fluten losgerissen worden.   In rasender Eile sei
es auf der gelben, schäumenden Flut vorwärtsgegangen. Auf einmal tauchte die bekannte niedrige Brücke von Dietenheim auf. Bange Minuten. Werden wir von der Brücke erdrückt werden, oder ins Wasser gestreift werden, oder gerade noch unter der Brücke hindurchschlüpfen können? Die Gefahr ging vorüber, aber bei einem um 10 cm höheren Wasserstand wären wir von der Brücke ins Wasser gestreift worden, um dort ein nasses Grab zu finden. Ein anderer erzählte vom Oberkirchberger Wehr, über die das Floß wie eine Sprungschanze der Schifahrer durch die Luft metertief hinunterfiel.
    Die Flößer waren scharfe Beobachter der Natur. An den Stauwehren sahen sie, wie die Fische meterhoch sich hinauf-schwangen, um über die Sperre hinwegzukommen. Bei Lach-sen wurden schon 9 Meter hohe Sprünge beobachtet. Die Flö-ßer kannten den Aal, der bekanntlich vom Golf vom Mexiko heraufkommt. Aus ihrer Erfahrung heraus konnten sie be-stätigen, daß Wasser ein guter und Holz ein schlechter Leiter des elektrischen Stromes ist. Unheimlich sei es gewesen, wenn ein Gewitter sie auf der Floßfahrt überraschte. Der Blitz schlug oft vor dem Floße und hinter dem Floße ins Wasser, aber Floß und Flößer wurden nie getroffen. Und die Flößer wußten zu berichten, daß das Wasser, entsprechend dem naturwissenschaftlichen Gesetz: "alles, was sich bewegt, bewegt sich in Wellen" sich nicht in gerader Linie, sondern im Zickzack bewegt, womit die Bildung der Kiesbänke zusammenhängt, die nach jedem Hochwasser wieder anders lagen und den Flößern große Schwierigkeiten verursachten. Darin lag die eigentliche Kunst der Flößerei, anzukämpfen gegen den Stromstrich, der bei jeder Biegung von Außenseite zu Außenseite geht. In den Flößerherbergen warfen sich die Flößer wohl auch manches Scherzwort und manchen Uebernamen zu. Ein Kemptener Flößer hieß eben lebenslänglich der "Zundel". Dieser Uebername hatte seine Vorgeschichte.    Ein Flößer blieb mit seinem Floße an einem Felsen hängen. Das Floß wurde zerrissen und
ging davon. Der Flößer selbst konnte sich auf den Felsen ret-ten.   Sein Leben, seine Tabakspfeife und seinen Tabak hatte er glücklich gerettet.   Zum Glück kam bald ein Kollege auf einem Floße hintennach.    Was war das erste Wort und die erste Bitte des Geretteten?    "He du, hosch mir koin trockene Zundel?" Die Wiederinbetriebnahme seiner Pfeife war die größte Sehnsucht seines Herzens. Wie sagt doch der Dichter:   "Und wenn die Welt in Trümmern kracht, der Mut'ge setzt
sich drauf und lacht."   In einer Zeit, da der deutsche Box-meister Breitensträter seinen Siegeszug durch die deutsche Presse und die deutsche Oeffentlichkeit macht, darf wohl darauf hingewiesen werden, daß die Flößer auch Fähigkeiten hatten auf dem Gebiete, das sich mit Athletik, Trainage und Boxen berührt. Der aus Dietmannsried kommende Flößer Hieronymus Boxler - obś nicht schon am Namen lag? - traf mit dem Wirt und Flößer Ludwig Kienle zum Schiff in Neu-Ulm
die etwas eigenartige Vereinbarung, er wolle sich für einen Sechser
[5] = 6 Kreuzer
einen Maßkrug am Kopfe zusammenschlagen lassen. Der erste Streich schien wirkungslos zu sein, obgleich Kienle ein Mann von Riesenkraft war. Boxler sprach ganz ruhig: "Du Elendiger, Du kannst nit emol zuschlage." Es folgte ein zweiter Streich. Der Kopf des Hieronymus blieb ganz, da-gegen ging der Maßkrug des Kienle in Scherben.   Hierony-mus hatte seinen Sechser gewonnen. Im gleichen Lokale brüstete sich ein Flößer namens Michael Klotz: "Soll einer zu mir her komme.   Ich fürcht koin.   Ich fürcht mich it für tau-send Gulde.   Gfürcht und gfrora hots mich noch nia."   Lud-
wig Kienle holte als galanter Gastgeber aus, verschlug ihm tüchtig den Kopf und sagte:   "Was moinst jetzt, Michel,
fürchst dich au jetzt noit?", worauf dieser in diplomatischer Schläue antwortete:   "Ich moi doch a bitzele." Man erzählte von einem Flößer, der auf der Fahrt von seinem Floße aus einem Illeruferarbeiter den wenig schmeichelhaften Morgen-gruß zurief: "Wo bist du heut Nacht beim Stehla gwea?", worauf dieser nicht verlegen antwortete: Sei froh, daß du it stehla mußt, du Rothoriger, du mußt en reicha Vatter hau, der hot dir jo a goldige Kappa mache lau."

Das Ende der Illerflößerei.
    In der Geschichte der Illerflößerei wechselt idyllische Ro-mantik mit rauher Wirklichkeit. Die Poesie mit Prosa. Als recht prosaisch ist das Ende der Illerflößerei zu bezeichnen. Am 28. November 1907 sah sich der Stadtrat Ulm veranlaßt, folgen-den Beschluß zu fassen: "Das Institut der Anlandegeldein-nehmer und damit auch die Erhebung von Ländegebühren für die Stadtkasse ist aufzuheben und den Interessenten das An-legen der Flöße und die Aufsicht über den Flößereibetrieb an den Anländestellen selbst zu überlassen. Die Oberaufsicht über die Ländeplätze und das Flößereiwesen soll dem Stadtpolizeiamt übertragen werden." Dieser Beschluß, der für die beiden Donauzoller Jakob M o l f e n t e r und Karl Z u b e r ein Erlöschen ihrer Amtsbefugnisse bedeutete, war aus der Wahrnehmung hervorgegangen, daß die Illerflößerei gewaltig zurückgegangen war, daß die Einnahmen aus Anländegebühren verschwindend klein waren, sodaß die Stadtverwaltung in der Sparte "Donauzoller" mit einem starken Abmangel arbeitete. Der Stadtverwaltung mag es schwer geworden sein, eine wohl um Jahrhunderte zurückgehende Einrichtung plötzlich aufzugeben. So hatte sie im Jahre 1906 noch einmal eine genaue Zählung der in Ulm ankommenden und in Ulm durchfahrenden Flöße vornehmen lassen.
Es ergab sich folgendes: Der Floßherr J. G r a f von der Fluhmühle bei Legau brachte 28

* * *
(1) Flöße,   August U l r i c h von Marstetten-Aitrach 24, Ph-
lipp B ä r t l e von Mooshausen 4(7),   Joh. Georg B ü h l e r
von Kellmünz 37, die Gebrüder B ü h l e r von Sinningen 10 (31),   Michael W a l k e r von Sinningen 10 (31),   Friedrich
S c h e u f f e l e von Oberbalzheim 1,   Johann R o m m e l
von Oberbalzheim 24 (8),   Johann G r a f, Brandenburg 8.
Das waren insgesamt noch 166 Flöße, die in Ulm blieben, während 48 donauabwärts nach Lauingen, Dillingen und Do-nauwörth weiterfuhren. Vier Jahrzehnte vorher waren noch über 3000 Flöße in Ulm angekommen! So können wir den Beschluß der Stadtverwaltung wohl verstehen. Ein Stück Vergangenheit war wieder abgeschlossen und der Zeiger der Entwicklung kündete eine neue Stunde. Ein Hauptgrund für den Rückgang der Illerflößerei lag in der von Jahr zu Jahr zunehmenden Benützung der Eisenbahn für den Langholz-transport, ein anderer in der Industrialisierung des Illertales, wodurch eine Reihe von Stauwehren angelegt werden muß-ten, die sich für die Illerflößerei als sehr hinderlich und er-schwerend erwiesen. Mit dem Jahre 1907 hatte die Iller-flößerei übrigens noch nicht aufgehört. Einzelne Flöße kamen noch bis vor Beginn des Weltkriegs vom Allgäu herab. Der Floßherr Graf zur F l u h m ü h l e bei Legau brachte mit sei-nem Oberflößer R a i m u n d G a l l o s c h aus A i t r a c h
wohl die letzten Flöße aus dem Allgäu nach Ulm. So hat die Illerflößerei die Kinzigflößerei, die mit dem Jahre 1894 aufhörte und die Neckarflößerei bei Tübingen, die im jahre 1897 den Studenten zum letztenmale ein "Jockele sperr" entlockte, ein gut Stück überlebt. Heute leben die Flößer noch im Sprich-wort fort, das sagt: "Er ist grob wie ein Flößer."   Mit Recht
sagt Hansjakob: "Als ob Leute fein sein könnten, die keine Zahnstocher und keine Zündhölzer, sondern Tannenbäume transportieren und jahraus jahrein im Wasser und Wald in Todesgefahr standen. Wahrlich, mir ist ein derber, grober, ehrlicher Flößer lieber als ein hohlköpfiger, faulenzender Gi-gerl
[6] Modenarr und Dandy
und Komplimentenmacher. Mir waren die Flößer von Jugend auf liebe Leute und ich freue mich, daß ich ihnen hier ein kleines Denkmal setzen konnte."   Aehnliches wäre von
den Illerflößern zu sagen. Sie stellten ein Stück kraftvollen schwäbischen Brauchtums dar. Sie waren abgehärtet in Hitze und Kälte, in Wind und Wetter. Tausendfach haben sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um das tägliche Brot und den Un-terhalt für ihre Familie zu verdienen.   Tausendfach haben sie dem Tode ins Angeschicht gesehen. Sie haben ihrem Leben einen heldenhaften Sinn gegeben. Darum verdienen auch die Illerflößer der Vergessenheit entrissen zu werden.

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Anmerkungen d.R.:
[1]: Sonntag Oculi: dritter Sonntag der Fasten-/Passionszeit
[2]: 1 Gulden (fl.) = 60 Kreuzer (x.) = 1,74 Mark (Mk.); 1 Mark (Mk.) = 100 Pfennige (Pfg.)
[3]: Logel, auch Kiepe oder Bütte genannt, ein auf dem Rücken getragener Behälter mit einem Fassungsvermögen von 40 kg Trauben bzw. 75 Liter Flüssigkeit
[4]: Heinrich Buck - Holzhändler, Teilhaber der Fa. Mayser u. Buck, Schillerstr. 52
[5]: 1 Sechser = 6 Kreuzer; entspricht einem halben Groschen = 5 Pfennige
[6]: Gigerl: im Süddeutschen eine abfällige Personenbezeichnung für einen Modenarr und Dandy



Dieser Artikel ist am 15.Dezember 1926 in Ausgabe Nr.12 der "Ulmer Historischen Blätter" erschienen und wurde an den mit [...] gekennzeichneten Stellen gekürzt.
Beim Übertrag aus der Fraktur-Schrift in Unicode wurde die originale Zeichensetzung und Schreibweise unverändert übernommen. Spaltenumbrüche mussten dem gekürzten Text angepasst werden, Zeilenumbrüche wurden so weit wie möglich beibehalten.

Für die Wortwahl, für Typisierungen, Charakterisierungen, geschlechtsspezifische und andere Formulierungen des Autors, die heute möglicherweise Anstoß erregen könnten, übernimmt der Editor keinerlei Verantwortung.
Um Geschichte begreifen und daraus lernen zu können muß man sich ein eigenes Urteil bilden können. Bücher und Kunstgegenstände in Giftschränken zu verschließen, originale Texte einem wechselnden Zeitgeist zu unterwerfen, missliebige Objekte aus dem Stadtbild zu radieren und historische Personen losgelöst aus ihrem jeweiligen Umfeld zu bewerten ist Geschichts(ver-)fälschung. Mit solchen Mitteln der Meinungssteuerung hatten auch die Geister gearbeitet, die wir heute nicht mehr in unserer Mitte dulden wollen.




Flösser am Ulmer Donauufer, um 1840


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