Mit der Erschließung der Gebiete nördlich des alten Stadtkerns ist eine Phase der frühen industriellen Entwicklung innerhalb der durch die Bundesfestung gesetzten Grenzen abgeschloßen.
Nach dem Ende als freie Reichsstadt und mit dem Bau der Eisenbahn dehnte sich die Stadt über die mittelalterlichen Stadtmauern hinaus aus. Der Stadtgraben wurde zur Olgastraße, das Vorfeld bildete als Grüngürtel die obere Promenade. Jenseits dieses Streifens blieb Platz für eine Stadterweiterung.
Richtung Norden begrenzte jedoch die Bahnlinie und der Michelsberg die weitere Ausdehnung. Nach Osten waren mit der Umwandlung der Spital- und der Papiermühle in kleine Fabriken schon früher die ersten Schritte vor die Stadtmauern getan worden. Die Rayonbestimmungen der Bundesfestung bildeten aber noch ein Hindernis. Erst als diese aufgehoben waren konnte auch die Untere Bleiche großflächig industriell genutzt werden.
Bei der Entwicklung der Stadt in nördliche und östliche Richtung sind zwei Phasen erkennbar. Zuerst wurde der Nahbereich der nördlichen Stadtmauer bis zum Michelsberg entwickelt (im Folgenden nach dem damals noch bekannten Gewannnamen "Im Boden" bezeichnet, heute erinnert nur die Bodenstraße daran). Die Ausdehnung nach Osten, in die heutige Oststadt, beschränkte sich zuerst auf den Ausbau der beiden Mühlen, den Bau von öffentlicher Infrastruktur und von Kasernen. Erst kurz vor der Jahrhundertwende und nach der Öffnung der Festungsmauern konnte auch hier die Besiedelung großräumig erfolgen.
Der Alte Friedhof und die Frauenstraße gelten gemeinhin als Grenze zwischen Neu- und Oststadt. Zur Olgastraße gehörte die meiste Zeit allerdings auch der Abschnitt zwischen dem Frauentor und den Wallanlagen der unteren Stadtfront (Friedrichsau-Tor). Die Entwicklung des Bereichs an der heutigen Schwambergerstraße / Willy-Brandt-Platz wird daher in diesem Kapitel mit betrachtet.
Im Boden
Der durch die Niederlagen in den Napoleonischen Kriegen erzwungene Abriss der mittelalterlichen Stadtbefestigung ermöglichte es ab 1802 der Stadt sich über die zuvor mit Wasser gefüllten Stadtgraben hinaus auszudehnen. Die überwiegend an der Nordflanke liegenden Mühlräder, die bisher den →Brunnenwerken der städtischen Wasserversorgung dienten aber auch schon die Maschinen einzelner Handwerkersbetriebe antrieben (u.a. →Zundelmacher), wurden bis ca. 1875 weitgehend stillgelegt. Die Stadtmauern blieben zwar großteils stehen, auch, weil sie mit den schon im 17.Jh. darauf errichteten sog. Grabenhäusle unentbehrlich waren, das Gelände davor konnte aber eingeebnet und zu einem Grünzug, der sog. Promenade, umgestaltet werden. Das so neu gewonnene Areal sollte vorwiegend für öffentliche Infrastruktur und Militärbauten genutzt werden. Wie schon auf der →westlichen Promenade fanden aber auch wohlhabende Ulmer Gefallen an der schönen, ruhigen Lage und bauten dort gerne ihre vornehmen Villen und hochherrschaftlichen Etagenhäusern.
Der heute für das Gebiet nördlich der Olgastraße oft verwendete Begriff "Neustadt" bezog sich lange Zeit auf das gesamte Gürtel zwischen dem Gögglinger Tor im Südwesten und dem Gänstor im Osten. Zur Bestimmung der genaueren Lage eines Hauses verwendete man seinerzeit die Bezeichnung "vor dem Gögglinger-/Neuen-/Frauen- oder Gäns-Thor" sofern die Anwesen nicht den überregionalen Straßen, der Stuttgarter, der Blaubeurer und der Biberach-Ehinger Straße zugeordnet waren.
Ab 1864 begann man auch im nördlichen Teil der Promenade neue Straßen anzulegen. Es entstanden die Olga- und die Karlstraße in Ost-West Richtung und die Kepler- und Syrlinstraße in Nord-Süd Richtung. 1869 folgten die Zeitblom-, Ensinger- und Neutorstraße. Die heutige Karl-Schefold-Straße hieß, da sie direkt zur Infanteriekaserne führte, anfangs noch Kasernenstraße. Mit der Besserer- und der Schaffnerstraße war dieses Areal ab 1874 weitgehend erschlossen.
Schon vier Jahre vorher, im April 1870, hat der Gemeinderat eine Abrundung des Bereichs nördlich der Karlsstraße und den Verkauf von 64.000 Quadratfuß Baugelände im sog. "Boden" genehmigt . Die Syrlin-, Ensinger- und Bessererstraße werden nach Norden verlängert, neu dazu kommt die Wilhelmstraße.
Ausser den vereinzelten, schon lange dort ansässigen kleinen Handwerksbetrieben am Stadtgraben, dem Friedhof und dem Leprosenhaus und abgesehen von privaten Gärten und Lagerplätzen blieb der Bereich südlich der Wilhelmsburg aber erst einmal ungenutzt. Es herrschte jedoch ein intensiver Ausflugsverkehr zu den Gartenwirtschaften und Bierkellern am "Michaelisberg", wie er damals noch hieß.
Das heute noch das Bild der Olgastraße prägende große Justizgebäude entstand in den Jahren 1894-98. Der Mitte des 16.Jahrhunderts angelegte →Alte Friedhof an der Frauenstraße wird 1898/99 geschlossen und zu einem Park umgewandelt.
Zu einem kleinen Gewerbegebiet entwickelte sich der Boden und sein Umfeld erst kurz vor Beginn des 19.Jahrhunderts.
Die Nähe zum neu eingerichteten Güterbahnhof am Fuße des Michelsbergs zog besonders jene Unternehmer an, deren Rohstoffe mit der Bahn angeliefert werden konnten und deren Produkte ihren Absatzmarkt überwiegend in anderen Teile des Deutschen Reichs oder gar im Ausland hatten.
Da Ulm traditionell Umschlagplatz für Getreideerzeugnisse aus den reichsstädtischen Gebieten, von Milch und Käse aus dem oberschwäbischen Raum und für Holz aus dem Allgäu war, bildete sich im Boden ein gewerblicher und kleinindustrieller Schwerpunkt besonders mit Unternehmen der Lebensmittelbranche (Nährmittel, Käse) und mit Möbelherstellern heraus.
Mit den Kasernen für die Bundesfestung entstanden ab Mitte des 19.Jh. die ersten großen Neubauten jenseits der Altstadt. Nach der Pionierkaserne im Osten prägte die ab 1860 gebaute Friedens-/Infanteriekaserne westlich der verlängerten Frauenstraße das Bild . In deren Umfeld brachte man auch militärische Versorgungseinrichtungen unter. In der Heeresbäckerei soll es als einer der ersten Einrichtungen in Ulm eine kleine Dampfmaschine gegeben haben.
Zwischen der Karlstraße und der Bahnstrecke nach Aalen hatten schon vorher der Brauereibesitzer und Wirt Joh. Georg Rex (Stadt Frankfurt/Deutsches Reich) und der Stadtrat Robert Leibinger (Brauerei "Zur Breite) ihre Wirtschaften und Bierkeller. 1880 kommt ein weiterer Keller der zur Familie Leibinger gehörenden Gold-Ochsen Brauerei dazu. Nach deren Zusammenschluß und einem Neubau der Braustätte steht hier seit 1897 die heute größte und wohl bekannteste Ulmer Brauerei.
Karlstr. 3 - Gaswerk - (2)
Ebenfalls schon sehr früh, ab 1857, nutzte die Stadt den nördlich an den Bahnhof grenzenden Bereich der Promenade für den Bau eines neuen Gaswerks, das damit auch gleich einen eigenen Bahnanschluß bekommen konnte. Der Stadtbaumeister Georg Karl Ferdinand Thrän hatte ab 1850 erfolgreich die Modernisierung der Ulmer Wasserversorgung voran getrieben und sollte sich nun der anerkannt schlechten Stadtbeleuchtung durch Talglichter annehmen. Er informierte sich in anderen Städten und unterstütze mit fachlichem Rat die 1852 gegründete "Gasbeleuchtungs-Commision". Es entstand eine öffentliche Diskussion die 1853 in einem Beschluß mündete, die Augsburger Firma Riedinger mit dem Bau eines Gaswerks für die Stadtbeleuchtung, für private Brennstellen und den Antrieb von Gasmotoren in Handwerksbetrieben zu beauftragen. Da die Herstellung des Gases durch verschwelten Torf aus der Günzburger Gegend und später aus Kohle mit wahrnehmbaren Gerüchen verbunden ist, sollte das Werk weit genug vor der Stadt stehen ohne dass die notwendigen Zuleitungen zu lang werden. Diesen Standort nutzte man dann auch wenig später zum Bau eines Maschinenhauses und Pumpwerks für das städtische Wasserwerk.1
Karlstr. 2-4 - Berblinger-Bau - (3)
Der Zimmermeister und Bauunternehmer Philipp Berblinger, ein Neffe des Flugpioniers, wollte 1864 mit dem Bau eines über 100 Meter langen Arbeiter-Wohnkomplexes südlich des Gaswerks der Wohnungsnot begegnen, verspekulierte sich aber und musste den Bau an die Eisenbahnverwaltung verkaufen . Der Bereich nördlich des Karls- und des Charlottenplatzes blieb auch danach den einfacheren Wohnverhältnissen mit großen Mietshäusern und Hinterhöfen vorbehalten. (→Wohnen in frühindustriellen Zeiten)
Karlstr. 23/4, Hartmannstr. 6 u. 8 - Karl Käßbohrer, Wagenfabrik - (4)
Im Sommer des Jahres 1903 bot sich dem Wagnermeister
→ Karl Kässbohrer
die Gelegenheit, eine zur Erbmasse des Schankwirts Joh. Kummerey gehörende Schmiede mit Remise an der Karlstraße zu erwerben. Seine gut gehende Werkstatt am Lautenberg südlich des Münsterplatztes genügte inzwischen nicht mehr den stetig steigenden Anforderungen.
Auch in dem die Anschrift Karlstr. 23/4 tragenden Hinterhof wuchs Käßbohrer (die Schreibweise mit ss kam erst später) weiter. Nach dem 1. Weltkrieg erwarb er weitere, zur Wilhelmstraße 10 gehörende Grundstücke.
Ein Verbindungsweg zwischen der Karlstraße und der Wilhelmstraße, der quer durch das Käßbohrersche Fabrikgelände führt, wird um 1925 als Hartmanngasse (später Hartmannstraße) ausgewiesen. Die Wagen- u. Karosseriefabrik Karl Käßbohrer erhält nun die Anschrift Hartmannstraße 6.
Anzeige 1912
1928 übernimmt Kässbohrer die Karosseriefabrik Neuer & Thieme in der Söflinger Straße und verlegt den Großteil der Produktion in das auch dort weiter wachsende Werk. Das Haus Hartmannstr. 8 wird bis zum 2. Weltkrieg weiter als Fabrikgebäude genutzt. Die Familie Kässbohrer bleibt in der Hartmannstraße Nr.6 wohnen. In dessen Nebengebäude zieht in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre die "Schwabengarage der Kraftverkehr Württemberg AG" mit einer Autowerkstatt, einer Zapfstelle und dem Verkauf von Ford Automobilen.
Olgastraße
Wie schon die ursprüngliche Bezeichnung der Olgastraße als "Promenade" andeutet, war der Weg über weite Teile mit Grünstreifen und Baumreihen eingefasst, bot schöne Ausblicke und diente als beliebtes Ausflugsziel. Hier trafen sich großbürgerliche Kreise zum Flanieren, Promenieren und zunehmend auch zum standesgemäßen Wohnen.
Bei der Olgastraße ist zu beachten, dass sie im Laufe ihrer Geschichte nicht nur mehrmals ihren Namen und ihre Ausdehnung geändert hat, es hat sich oft auch die Zuordnung der Hausnummern geändert. Daher fällt heute manchmal eine richtige Lokalisierung schwer. Die heutige Schwambergerstraße, an der der Schlachthof und das E-Werk lagen, gehörte bis zur Entnazifizierung der Ulmer Straßennamen ebenfalls zur Olgastraße bzw. zum Adolf-Hitler-Ring. Der dem "GröFaZ" gewidmete Straßenzug umfasste auch die heutige Friedrich-Ebert-Straße.
Olgastr. 99 - Wieland-Werke - (5)
Gegen Osten setzte eine Fabrik der anfänglichen Idylle der Promenade ein Ende. An einem Seitenzweig des Stadtgrabens lag seit der Mitte des 17.Jahrhunderts die
→Spitalmühle
, die ab 1835 von dem Mechaniker
→ Johann Georg Krauss
erst in eine Werkstatt, dann zu einer der führenden Maschinenfabriken in Württemberg entwickelt wurde. 1859 verkauft er die Mühle, deren Wasserkräfte ihm nicht mehr ausreichten, an
→ Ph.J. Wieland
, der sie zu einer Messing-Fabrik umbaute. Das Areal Olgastraße 95-99 wurde später für lange Zeit der Hauptsitz des heute im Industriegebiet Donautal ansässigen Unternehmens. Darüber hinaus ließ Wieland am anderen Ende der Olgastraße (Nr.10) ein mehrteiliges Anwesen errichten in dessen zur Straße gerichtetem Gebäude er mit seiner Familie wohnte, in dessen rückwärtigen Teilen er Büros und Magazine unterbrachte.
Olgastr. 120 - Schlachthaus - (6)
Die Metzger gehören zu den alteingesessenen Zünften der Stadt und hatten ihr Quartier in Bereich der Mündung der Blau in die Donau. Die Straßenbezeichnungen "Unter der Metzig" und Metzgergasse erinnern noch daran. Dort konnten sie ihre Schlachtabfälle, wie damals üblich, in die vorbei fließenden Gewässer kippen ohne weiter unten liegende Nachbarn zu sehr zu belästigen. Im Jahr 1578 wurde neben dem Metzgerturm ein erstes gemeinsam benutztes Schlachthaus errichtet, aber auch deren Rückstände landeten in der sog. Metzgersblau.
Mit Einführung der Gewerbefreiheit im Königreich Württemberg fiel der Zunftzwang und viele Handwerker organisierten sich in neuen Strukturen, den Innungen und Handwerkskammern. Die Freie Fleischerinnung Ulm wurde im Jahr 1879 gegründet, eines ihrer vordringlichsten Ziele damals war der Bau eines neuen Schlachthauses. Das Grundstück dafür konnte an einem noch Wasser führenden Zweig des Stadtgabens im Osten der Stadt gefunden werden. Das neue Schlachthaus bei der Fuchslochbastion nordwestlich der Pionier-Kaserne wurde im Juni 1883 eingeweiht und war an dieser Stelle bis 1968 in Betrieb. Nach dem Umzug ins Industriegebiet Donautal blieb der Schlachthof weitere 30 Jahre in städtischen Besitz bis er privatisiert wurde.
Olgastr. 106 - E-Werk und Straßenbahndepot - (7)
Im Dezember 1893 fasste der Gemeinderat den Beschluß in der Stadt ein privatwirtschaftlich betriebenes Elektrizitätswerk einrichten zu lassen. Hintergrund dafür war ein Antrag eines Berliner Unternehmers, in Ulm eine elektrische Straßenbahn betreiben zu dürfen. Den Auftrag zum Bau der Straßenbahn und des für den Betrieb notwendigen E-Werks erhielt die Nürnberger Elektrizitäts-AG, vorm. Schuckert & Cie., später Siemens-Schuckert Werke. Der Vertrag beinhaltete neben dem Straßenbahnbetrieb auch die Aufstellung elektrischer Straßenlampen und die Versorgung privater Abnehmer. Die Ära der Gasbeleuchtung aus dem Gaswerk in der Karlstraße neigte sich langsam dem Ende zu.
Das für das dampfbetriebene E-Werk mit angrenzendem Straßenbahndepot ausgewählte Gelände passte zwar mit seiner Lage südlich der Wielandschen Fabrik und westlich des Schlachthofs in das Umfeld, betrieblich aber war es nicht ideal gelegen, denn dadurch wurde eine über 300 Meter lange Zufahrt zum eigentlichen Liniennetz der Straßenbahn notwendig. Andere Standorte standen aber kaum zur Verfügung. Die von der eigens gegründeten "Ulmer Straßenbahn- & Elektrizitätswerk der Elektrizitäts-Actiengesellschaft vormals Schuckert & Co." betriebene Straßenbahn blieb lange defizitär und auch das unterdimensionierten E-Werk machte ständig Probleme. Die Eigentümer zeigten allerdings entgegen den Wünschen der Stadt wenig Interesse an einem Aus- und Umbau. Im Jahr 1905 übernahm deshalb dank eines entsprechenden Vertragspassuses die Stadtverwaltung die inzwischen an ein anderes Unternehmen verkaufte Straßenbahn und das E-Werk.
E-Werk und Depot, Rückseite zur Bachstr.
(Foto: Sammlung UNF)
Mit der nun in den 1920er Jahren möglichen Erweiterung des Straßenbahnnetzes und einer inzwischen notwendig gewordene Neustrukturierung des Stomnetzes kam 1927 das Aus für diese städtische Betriebsanlage. Das E-Werk wurde stillgelegt, der Straßenbahn-Betriebshof zog auf ein neues Gelände beim Dampfkraftwerk in der Weststadt. (→ Ulmer Nahverkehrsgeschichte - Straßenbahn bei den Ulmer Nahverkehrsfreunden UNF)
waren mit ihren Kutschen und Eisen-Pflügen so erfolgreich, dass sie 1864 ihre Werkstatt in der Deinselsgasse erweitern mussten, dort dafür aber keinen ausreichenden Platz hatten. Die Lösung fand sich in einem Grundstück an der "Promenade zwischen dem Frauen- und Neuenthor, Lit. F.II 1 u.2". Hier konnten sie eine kleine Fabrik errichten, die jedoch ebenfalls schon bald wieder zu eng wurde. Eine Ausdehnung in diesem Umfeld, das nun zur Olgastraße gehörte und zu einer noblen Wohn-Adresse geworden war, verbot sich nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Die alte
→Papiermühle
des Jakob Beck vor dem Gänstor dagegen lag noch auf freiem Feld und eröffnete neue Optionen. Auf dem Gelände nördlich des Niederländerhofs konnte sich das Unternehmen in den folgenden Jahrzehnten ausbreiten. Den Standort an der Ecke Keplerstraße / Olgastraße behielt man jedoch noch lange bei.
Keplerstr. 2 - Schmid v. Hinrichs, Draht-Häcker -
Einzelne Gebäudeteile wurden allerdings vermietet. So zog z.B. nach dem 1.Weltkrieg die Firma
→ Schmid v. Hinrichs & Co.
in die alte Wagenhalle. Deren Hauptgeschäft bestand im Vertrieb und der Reparatur von Automobilen. Darüber hinaus wurde aber auch Autozubehör hergestellt. Die beworbene Windschutzscheibe "Record" diente wahrscheinlich der Nachrüstung von Vorkriegsfahrzeugen, die oftmals noch ohne Frontscheibe ausgeliefert worden waren. Georg Schmid v. Hinrichs richtete zwar Ende der 1920er Jahre noch einen Automobil- und Motorrrad-Verkaufsraum im Hafenbad ein. Seinen Betrieb scheint er aber kurz danach aufgegeben zu haben. Als neue Mieter der Werkstatt in der Keplerstraße tauchen 1931 erst ein Kraftwagenvertrieb Ulm Georg Rößler, später dann die Kraftverkehr Bayern GmbH und die "Südkraft" Südd. Kraftwagenspedition auf. Heute steht an der Stelle eine Tankstelle.
Schmid v. Hinrichs vertrat die Marke "Stoewer", hier ein Wagen des Typs Stoewer LT4 von 1910
Foto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Kurz vor dem 2.Weltkrieg werden weite Teile des Geländes von Eberhardt an die Drahtgewebefabrik
→Gebr. Häcker
vermietet. Carl Häcker kann das Anwesen nach dem Krieg erwerben und zum Firmensitz ausbauen. Seine Drahtweberei erstreckt sich ab den 1960er Jahren auf die Grundstücke Keplerstraße 2 bis 8.
Keplerstr. 22 (9)
Der Schreinermeister Fidel Wielath war mit seiner Möbelproduktion in der Rothstraße erfolgreich und übergibt den scheinbar mit genug Kapital ausgestatten Betrieb kurz vor der Jahrhundertwende an seinen Sohn
→Anton Wielath
. Dieser kauft das Grundstück Keplerstraße 22, auf dem schon mehrerer Häuser stehen, und betreibt hier bis zum Umzug in die
→Funkenmühle
seine Möbelfabrik.
Nach dem 1.Weltkrieg zieht in das Haus Keplerstr. 22/1 die Ulmer Malzkaffee- u. Nährmittelfabrik
→Sievert & Harthun
(später Sievert & Rampf Schokoladen-Großhandel). Für eine kurze Zeit ist hier auch eine Stoffschuhfabrik Mestosa gemeldet. Seit Anfang der 1930er Jahre hat dann die Steindruckerei von
→Josef Mohn
hier ihren Sitz. Unter dem Nachfolger, der Familie Beilhardt, bleibt dieses Haus bis ca. 1995 Standort einer Druckerei.
In der Keplerstr. 22/2 wohnt nach dem 1.WK u.a. auch der Kaufmann Ludwig Scheck. Sein Unternehmen läuft trotzt Weltwirtschaftskrise so gut, dass er die Fabrikation von chemisch-technischen Produkten, die er bisher in der Prittwitzstraße betrieb, hier auf 2 Etagen ausdehnen kann. Ab 1931 firmiert das Unternehmen dann unter
→L.Scheck & Co
, Hersteller der Schuhcreme "Kraussolin" und der Parkettbodenwichse "Scheckol". Aber auch unter dem heute noch verwendeten Namen "ULMA" wurden damals an diesem Standort schon Reinigungs- und Pflegemittel produziert. 1984 zog das Unternehmen in ein neues Gewerbegebiet in Ulm-Jungingen.
Syrlinstraße / Rothstraße
Entlang der Syrlinstraße ist in den Anfangszeiten die Adressbestimmung nicht immer ganz eindeutig. Mit der fortschreitenden Bebeuung wurden später die Grundstücke und Häuser auch der Rothstraße, im oberen Bereich der Wilhelmstraße zugeordnet.
Syrlinstr. 2 - Heinr. Mack Nachf. - (10)
Erst vergleichsweise spät, ca. 1909, wurde das Haus Syrlinstraße 2 von der damals schon sehr renomierten Firma
→Heinr. Mack Nachf.
errichtet. Mack war Hersteller des berühmten und heute in Östereich noch unter gleichen Namen erhältlichen Bade- und Waschkosmetikums "Kaiser-Borax". Daneben wurde aber in dem Werk in Illertissen auch eine Reihe anderer chemisch-technischer Produkte hergestellt.
In dem an die Olgastr. 49 (Wohnung von Heinr. Mack) angebauten Gebäude waren neben Büros wahrscheinlich auch Labore zur Produktentwicklung untergebracht. Das Haus wurde, wie viele in dieser Gegend, im 2.WK zerstört.
Als sich der Schreiner Fidel Wielath im Jahr 1873 (damals noch Willath geschrieben) selbstständig machte waren dem Anwesen Syrlinstraße 22 noch acht Wohnhäusern zugeordnet. Im Haus 228 belegte er das zu ebener Erde liegende Geschoss. Fünfzehn Jahre später wird der Bereich neu geordnet, Wielaths Haus bekommt nun die Nummer 202, die von ihm errichtete Werkstatt mit Möbelmagazin im Hinterhof hat die Nummer 202a.
Die Rothstraße wurde zwar schon 1888 angelegt, sie reichte aber nur von der früheren Kasernenstraße bis zur Keplerstraße. Erst 1893 wurden ihr Teile der Syrlinstraße zugeschlagen, darunter auch die Häuser der Syrlinstraße 20. Wielaths Wohnadresse Nr. 202 wurde zur Rothstraße 16, seine Werkstatt zur Rothstraße 14.
Nach dem Umzug der Möbelfabrik in die Keplerstraße (→s.o.) kauft das Haus erst der Oekonom Georg Hieber, später dann der Wäschefabrikant Emil Herbst, der in das ehemalige Sarg-Magazin kurzzeitig ein Warenlager für die von ihm hergestellte Damenwäsche einrichtet. Bis zum 2.Weltkrieg ziehen hier noch ein Spenglermeister, ein Kolonialwarengeschäft und eine 'Last-Autovermietung' ein.
Rothstr. 28 - Möbelfabrik Th.Berger - (12)
Nach dem Tod des Firmengründers Thomas Berger (→Grab 126/I im Alten Friedhof) errichtete sein Sohn Friedrich zusammen mit Bruder Otto auf einem Grundstück nordöstlich des Karlsplatzes ein neues Fabrikgebäude. Dieses hat nun die Anschrift Rothstraße 6. Sie selbst ziehen auf die Südseite des Geländes und bekommen die Wohnanschrift Zeitblomstraße 43.
1893 wird das Geviert um die Syrlin-, Kasernen- und Rothstraße neu geordnet, die Fabrik erhält erst die neue Hausnummer Rothstr. 26, wenig später die endgültige Nummer 28. Die
→Möbelfabrik Th.Berger
trägt da schon den Titel eines königlich württembergischen und fürstlich hohenzollerischen Hoflieferanten. Dieses imageträchtige Prädikat schützt Friedrich Berger, der die Firma inzwischen alleine leitet, allerdings nicht vor dem Niedergang. Um 1906 wird der Betrieb eingestellt, in einen Teil der Fabrik zieht die Adventistengemeinde vom 7.Tage (heute Neuapostolische Kirche) ein. Ab 1910 hat hier die Maschinenfabrik Schmidt & Fezer für einige Jahre ihren Sitz. Die nur kurz an die Kartonagenfabrik Wilh. Schroter vergebenen Räume in der 1.Etage der Rothstr. 28/2 übernimmt ca. 1912
→Ernst Mästling
für seine feinmechanische Werkstätte.
Nach dem 1.Weltkrieg beherbergt das Fabrikareal die Städt. Handelsschule, das Säuglingsheim des kath. Frauenbundes, das Gemeindehaus St.Georg und bis heute das kath. Altersheim St. Annastift.
Zeitblomstraße
Zeitblomstr. 43 - Carl Linse Schäfte- u. Lederwarenfabrik - (13)
In den Rückgebäuden seines Wohnhauses Zeitblomstraße 43 hatte Berger eine Ausstellung mit 40 Musterzimmern eingerichtet. Nach dem Aus der Firma bewohnt er zusammen mit dem Fabrikanten Wilhelm Lebrecht (Lederwarenfabrik) weiter das Vorderhaus. Im Hinterhaus versucht Eugen Geiger vergeblich mit einer 'chemigraphischen Plandruck- und Lichtpausanstalt' Fuß zu fassen. Nach dem 1.WK belegt erst die Städt. Handelsschule, dann die Handfiletfabrik Hans Schmeißner AG einen Teil der Räume.
1933 verlegt
→Carl Linse
seine Lederwarenfabrik von der Bleich- in die Zeitblomstraße 43. Die Gebäude werden jedoch bei der Bombardierung Ulms zerstört und Linse muss sein Unternehmen aufgeben. Das Grundstück wird vom Anna-Stift zur Erweiterung übernommen.
Zeitblomstr. 17 (14)
Um 1877 kann der Schreiner
→Andreas Schmid
das neue Haus Zeitblomstraße 17/1 aus einer Konkursmasse erwerben. Er richtet sich im Erdgeschoß ein und expandiert in den Folgejahren so weit, dass er Mitte der 1890er im rückwärtigen Teil ein eigenes Fabrikgebäude errichten kann.
Zeitgleich mit ihm wohnt in der 2.Etage der Kaufmann Max Brugger mit seiner Familie. Der Sohn des Hauses, ebenfalls den Namen Max tragend, wird später im Hinterhaus die Käsefabrik
→ Brugger & Co.
gründen.
Als Andreas Schmid im Jahr 1899 in die Keplerstraße wechselt zieht in das Haus der "Ulmer Volksbote" ein. Im Hinterhaus findet die Redaktion und Expedition ihren Platz. Aus diesem genossenschaftlich geführten Zeitungsverlag ging später die Südd. Verlagsgesellschaft hervor. (s. →Ulmer/Neu-Ulmer Zeitungen)
Zeitblomstr. 2a (15)
Welche Bedeutung Nebengebäude und Hinterhöfe für die Geschichte von Unternehmen haben können weiß man nicht erst seit der Legende um einen in einer Garage gegründeten amerikanischen Softwarekonzern. In Ulm spielt die Zeitblomstraße 2 als Keimzelle gleich mehrerer Unternehmen eine ähnliche, wenn auch bescheidenere Rolle.
1862 richtet
→Philipp Hörz
zusammen mit dem Großuhrmacher Gustav Farr auf einem Grundstück nahe der neuen Karlstraße (Lit. F VIII 1.) eine Werkstatt ein. Wenige Jahre später bewohnt er eine Etage in der Syrlinstraße.
1894 baut er dann ein eigenes Haus in der Zeitblomstraße 2. Im rückwärtigen Teil dieses Hauses hat er genug Platz für ein Fabrikgebäude. Hörz ist zu der Zeit schon Fürstl. Hohenzollerischer Hoflieferant. In diesem Hinterhaus wird es ihm bald zu eng. Zusammen mit seinem Sohn Eugen weicht er nach der Jahrhundertwende zuerst in einen Nebengebäude der
→Langmühle
in der Glöcklerstraße aus, schon 1906 ist dann aber erneut ein Umzug auf ein neues, großes Firmengelände beim Hermannsgarten nötig. Hier, in der Söflingerstraße 159, kann sich das Unternehmen dann die nächsten Jahrzehnte gut entwickeln.
Geschäftsanzeige 1891
Hörz bleibt aber Besitzer des Hauses in der Zeitblomstraße. In das Hinterhaus, nun die Nr. 2a tragend, zieht nach seiner Turmuhrenfabrik eine "Gas-Industrie Ulm", ein Filialfabrik der Ulmer Bekleidungswerke
→Emil Herbst
und eine Besteckfabrik Kaltenbach & Comp.
1910 mietet sich in dieses Gebäude schließlich der Konditor
→Karl Bär
ein. Bär betreibt hier für eine kurze Zeit eine Zuckerwaren- und Lebkuchenfabrik, verabschiedet sich aber schon 1913 Richtung Nürnberg, kauft dort ein in Konkurs gegangenes Werk und produziert unter dem Markennamen "Zucker-Bär" Lebkuchen, Schokoladenfiguren und Bonbons. Mit der Erfindung einer Süßigkeit auf Lakritz-Basis gelingt ihm ein großer Wurf. Die Bezeichnung "Bärendreck" steht heute noch synonym für eine ganze Klasse gleichartiger Produkte.
Auch die
→Südd. "Lyra" Zigarettenfabrik
von Max Wagowski, die nach Bär in diese Fabrikräume einzog, schien einer erfolgreichen Zukunft entgegen zu sehen. Inzwischen hatte der Verleger und Druckereibesitzer Dr. Karl Höhn die Immobilien gekauft, im Haupthaus war die Wirtschaft "zum Bärengärtle" eingerichtet worden. Wagowski hatte vor dem Einzug in die Zeitbloomstraße mit seiner Fabrik schon mehrere Standorte in der Innenstadt durchlaufen, musste aber nach dem 1.Weltkrieg auch dieses Gelände räumen nachdem Höhn das Gebäude für eine Kartonagenfabrik selbst benötigte. Die Zigarettenfabrik Lyra expandiert in der Römerstraße und wird in eine AG umgewandelt. Wagowski, als Jude bedroht, wandert nach Luxemburg aus.
Wohl schon weitgehend aufgebraucht war das Glück, das diese Anschrift ihren Inhabern brachte, als der Kaufmann Georg Schöllkopf hier schließlich seine "Ulmer Strickwarenfabrik Schöllkopf & Co." gründete. Er erwarb das Hinterhaus von Höhn in der Hochphase der Wirtschaftskrise, konnte sich mit seinen Strickwaren aber nicht durchsetzen. Vorsichtshalber betrieb er seine Vertretung der Dynamit AG (vorm. Alfred Nobel & Co), Pulverfabrik Köln-Rottweil, parallel dazu weiter und nutzte das Gebäude auch als Sprengstofflager. Bis zum Kriegsbeginn vermietete er die Räume an unterschiedliche Handwerksbetriebe, im Erdgeschoß bot u.a. die Bahnhofgarage M.Mack ihre Dienste an. Das ganze Areal wurde im 2.Weltkrieg zerstört.
Nach Westen abgeschlossen wird die Zeitblomstraße seit der Nachkriegszeit durch die große ehemalige Bahnposthalle der Deutschen Bundespost. Sie wird als letztes Relikt des sog. Postbahnhofs heute als Theater-Magazin noch genutzt.
Postbahnhof:
Krafftstraße
Kurz vor dem westlichen Ende der Zeitblomstraße zweigt die heute nicht mehr öffentlich befahrbare Krafftstraße nach Süden ab. Bis Mitte der 1920er Jahre bleibt diese Gegend in Bahnhofsnähe eine durchaus noble Wohngegend mit gewerblicher Nutzung. In den Hinterhäuser zwischen Olga- und Zeitblomstraße haben einige Hausbesitzer Büros und Lager für ihre Unternehmungen eingerichtet. Teilweise wurde hier auch produziert. (z.B. Olgastr. 9a: Hinterhaus Stuttgarter Ultramarinwerk Heinr. Breuning Nachf.; Olgastr. 9b: Gebr. Neuburger Manufakturwaren- u. Aussteuergeschäft und Großhandel usw.) Heute bildet das gesamte Areal einen Gebäudekomplex, der hier unter seiner ersten Adresse Krafftstr. zusammengefasst sein soll.
Krafftst. (16)
In der Krafftstr. 3 wohnen seit 1890 Johannes und Jakob
→Bilger
, im Nebenhaus (Nr.5) betreiben sie ein Geschäftslokal ihrer Molkerei. Nebenan (Nr. 7 u. 7a) hat der Buchverleger und Antiquar Heinrich Kerler sein Geschäft mit Lager.
Im Jahr 1898 errichtet Bernhard
→Levinger
in der Olgastraße 5 einen Neubau, den er im Vorderhaus selbst bewohnt, im Hinterhaus richtet er Büros und Magazine für seine Weberei bei Krumbach ein. Zusammen mit Erwin Bach gründet er nach dem 1.WK eine Wäschefabrik, die im Nebenhaus Olgastr. 7/7a auch produziert. 1935 übernimmt Juan Neufeld den Betrieb und führt ihn an dieser Stelle, später die Anschrift Olgastr. 63 tragend, erst unter eigenen Namen, dann unter der Marke
→"Ulmer Lavendel"
bis 1970 weiter.
1926 führt die Deutsche Post auch in Ulm den örtlichen automatischen Selbstwählverkehr ein und errichtet in der Krafftstraße 6 für die dafür notwendige Technik ein neues Fernsprechamt. Mit der fortschreitenden Nutzung von Telefonie und Telegrafie entwickelt sich dieser Standort besonders in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts weiter. Das Grundstück der Wäschefabrik von Juan Neufeld wird von der Deutschen Bundespost übernommen. Das gesamte Areal zwischen Zeitblom-, Krafft- und Olgastraße wird zum Sitz des →Fermeldeamts Ulm. Im rückwärtigen Teil des Komplexes Krafftstr. 6 / Olgastr. 67 entsteht ein Technikbau in dem die bundesweite Leitzentrale für den →Btx-Dienst untergebracht ist und der heute noch als wichtiges Rechenzentrum für eine Reihe von Internet-Diensten der Deutschen Telekom dient.
Neutorstraße
Die 1869 angelegte Neutorstraße wies lange eine sehr heterogene Besiedelung auf. Während im Richtung Olgastraße gelegenen Teil noble Wohnbauten dominierten - u.a. hatte in der Nr.7 (heute Theater-Areal) die Familie Wieland ihre ausgedehnte Villa und in der Nr. 13 wohnte später Oberbürgermeister Schwamberger - verbreitete um die Karlstraße herum das Gaswerk seine Düfte. Mietshäuser für Eisenbahner und einfache Arbeiter fanden dort dennoch ihren Platz. Dazwischen lagen bis weit in das 20.Jahrhundert erst einmal das Holzlager und die Gärten der weitläufigen →Familie Kölle.
Neutorstr. 21 u. 29 - Fam. Kölle - (17)
Schon zu der Zeit, als das Gelände noch vor den Stadtmauern lag besaß hier Karl Kölle große Grundstücke. Er entwickelte seine gärtnerischen Fähigkeiten so weit, dass er vor der Jahrhundertwende als "Kunstgärtner" großes Ansehen am württembergischen Hof genoss. Sein Anwesen beim Bahnhof, Lit. G IV 1., wurde zur Neutorstraße 29. Das Grundstück gehört seit 1936 dem Opel-Großhändler Hanser & Co.
→Wilhelm Kölle
dagegen beschäftigte sich mit dem Brennstoffhandel. 1873 lautet die Anschrift seiner Holz- und Steinkohlenhandlung noch Neutorstraße 18, die Nummer wird aber bald auf 21 geändert. Verwunderlich erscheint, dass er später neben dem Holzhandel an dieser Stelle auch die Herstellung künstlicher Mineralwasser, die "Ulmer Soda-Fabrik" betrieb. Hier waren neben Wasch-Soda auch Limonaden erhältlich.
Darüber hinaus haben sich in den Hinterhöfen der Neutorstraße über die Zeit hinweg eine Reihe von Betrieben niedergelassen, so z.B. in den Hausnummer 13a und 15 zwischen 1914 und 1933 die Firma Steiner & Friedmann mit einem Baumwollwaren-Lager. Im Haus Nr.14 befindet sich von 1914 bis 1921 die Schürzenfabrik Mann & Co. und seit 1889 betreibt
→Wilhelm Frasch
bis nach dem 2. WK in der Neutorstr. 32/2 (später Nr. 44) einen Öl- und Fetthandel in dem zeitweise auch produziert worden war.
Neutorstr. 56 - Diax-Kamerawerke - (18)
Der Kaufmann Walter Voss war am Ende des 2.Weltkriegs mehr oder weniger zufällig in Ulm in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten, hatte aber vorher schon ausserhalb seiner beruflichen Tätigkeit an eigenen Fotoapparaten gebastelt. Nach seiner Entlassung machte er sein Hobby zum Beruf und gründete die
→Diax-Kamerawerke
, die wegen der Zerstörung Ulms vorerst an unterschiedlichen Stellen in der Stadt unterkommen mussten. 1952 konnte er für sein Werk einen Neubau in der Neutorstraße beziehen, der nach dem Konkurs der Firma 1957 u.a. auch von den Stadtwerken Ulm genutzt wurde.
Bessererstraße / Wilhelmstraße
Bessererstr. 13 - Wilh. Rupp & Sohn - (19)
Das Haus Bessererstr. 13 war ursprünglich ein Wohnhaus. Um 1890 zog dort
→Wilhelm Rupp
ein, der sich bis dahin eine kleine Kassenschrankfabrik in der Deutschhausgasse aufgebaut hatte. Sein Sohn Friedrich war inzwischen mit seiner Mechaniker-Ausbildung fertig und konnte in den Betrieb einsteigen. Die Werkstatt in der Bessererstraße wuchs unter ihm und seinem Sohn Paul zu einer bedeutenden Kassen- und Eisschrankfabrik.
Bessererstr. 20 und 22 - Zettler / Zeiher - (20)
1894 bauen die Brüder
→Zettler
auf dem Grundstück Bessererstr. 20 ein neues Haus und richten im Hinterhof gemeinsam eine Teigwarenfabrik ein. Sie trennen sich jedoch schon bald. Hans Zettler zieht mit seiner "Ulmer Eierteigwarenfabrik" in die Böblingerstraße. Adolf Zettler bleibt noch und verlegt seine Firma erst 1912 in die Blaubeurerstraße. Das Fabrikgebäude wird an
→Heinrich Zeiher
verkauft, der schon kurz nach den Zettlers im Nachbarhaus Bessererstr. 22 ebenfalls eine Nährmittelfabrik errichtet hatte. Zeiher baut den Standort in den folgenden Jahren aus, ca. 1919 kommt das Grundstück Ensingerstr. 19/2 dazu.
zusammen mit einem Partner selbstständig und gründet eine "Ulmer Margarine- und Sparbutterfabrik" mit Sitz in der Wilhelmstr. 16. Es ist allerdings nicht klar, ob an dieser Stelle wirklich produziert wurde oder hier nur die Büros und Lager für ein auswärtiges Werk angesiedelt waren. In diesem Unternehmen steigt
→Max Brugger
zum Prokuristen auf. Er führt das Unternehmen ab 1904 unter eigenem Namen als Käsegroßhandel und Käsefabrik weiter. Nach dem Tod Bruggers wird das Haus im Jahr 1926 an die katholische Wengengemeinde verkauft, die hier ihre Susokirche und einen Volkskindergarten einrichtet.
Wilhelmstr. 20 - Eisengiesserei Ulm - (22)
Am oberen Ende der Syrlinstraße richtete Frieder Kießling schon um 1866 eine Eisengießerei ein. Das Grundstück hat auch in der ersten Zeit, in der Oskar Römer Inhaber des Betriebs ist, die Adresse Ensingerstraße 23, wird dann aber Mitte der 1870er Jahre zur Syrlinstraße 29. Mit der Übernahme der Gießerei durch
→Hermann Th. Hopff im Jahr 1884 wechelt die Anschrift in Wilhelmstraße 20. Der Sohn des Firmengründers zieht 1907 mit dem Betrieb ans Westgleis, behält die Gießerei an der Wilhelmstraße aber noch bis kurz vor dem 1. Weltkrieg. Das Grundstück geht danach in den Besitz von August Leibinger und dessen Gold-Ochsen Brauerei über.
Ein Werkstück Hopffs liegt heute noch gegenüber dem Schiefen Haus
Die Firma Carl Walther gehört zu den bekanntesten und größten deutschen Herstellern von Handwaffen als die Kriegsereignisse und die danach folgenden politischen Umwälzungen in Mitteldeutschland den Firmeninhaber Fritz Walther zwingen, das Stammwerk in Zella-Mehlis aufzugeben und in Süddeutschland ganz neu anzufangen. Er beginnt in Niederstotzingen und Gerstetten mit der Produktion von Bürobedarf und Rechenmaschinen, in der Ulmer Donaubastion können auch wieder die ersten Luftgewehre hergestellt werden. 1961 bezieht die Firma Waffen-Walther einen Neubau in der Wilhelmstraße 28, der bis zum Umzug in ein neues Werk im zur Jahrtausendwende neu ausgewiesenen Industriegebiet Ulm Nord Sitz des Unternehmens bleibt.
Beim "Ostbahnhof"
Der "Ostbahnhof", korrekter der Haltepunkt Ulm-Ost, an der Brenzbahn gelegen, verfügt über keine Anlagen zur Güterbehandlung, er dient ausschließlich der Personenbeförderung. Sein ursprünglicher Name lautete "Haltestelle Stuttgarter Tor". Die Straßenbahn-Haltestelle mit dem gleichen Namen lag etwas östlicher in der Karlstraße. In der Literatur und Presse taucht manchmal die Bezeichnung Ostbahnhof im Zusammenhang mit den Abstellanlagen des früheren Güterbahnhofs im Boden auf (s.u.).
Auf der Nordseite der Bahnstrecke nach Aalen, in der Marchtalerstraße, die erst 1930 angelegt wurde und eigentlich schon zum Michelsberg gehört, hatte nach dem 2.WK die Schwabengarage ihren Sitz. Aus einem Haus südlich des Haltepunktes, der Gaisenbergstraße 29, sendet heute RADIO 7 sein Programm.
Gaisenbergst 29 A - Möbel Schmid - (24)
Um 1900 wird es der Möbel- und Parket-Fabrik A.Schmid (s.o (14)) in der Zeitblomstraße zu eng, es erfolgt ein Umzug die Karlstr. 67 beim Stuttgarter Tor. Auf dem rückwärtigen Grundstück mit der Adresse Gaisenbergstr. 7 wird in einem Neubau die Fabrik mit Magazin eingerichtet. Noch vor dem 1.Weltkrieg wird die Gaisenbergstraße neu durchnummeriert, die Nr.7 wird zur Nummer 29.
Die Neustadt ist heute geprägt von städtischer Wohnbebauung und vom Dienstleistungsgewerbe. Nach den großflächigen Zerstörungen des 2.Weltkriegs und einer Zeit des Niedergangs fand in den letzten Jahren mit Neubauten und der Neugestaltung der Karlstraße eine Aufwertung statt. Geht man mit offen Augen durch die Straßen und in die zahlreichen Hinterhöfe dieses Stadtviertels lassen sich dennoch an manchen Stellen noch Gebäudeteile aus der Zeit einer ehemals industriellen Nutzung erkennen.
Quellen: 1: Albert Haug - 150 Jahre Ulmer Gas Retorten, Gasometer, Exhaustoren (→Literaturliste Energie)
- Ulmer Bilderchronik Bd.1-4,
- Stadtarchiv Ulm, Adressbuch 1812 - 1939