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Technikgeschichte als Hobby

Sich mit Industrie- und Technikgeschichte zu beschäftigen klingt so aufregend wie Briefmarken sammeln oder Modelbahnen bauen.
Sicher, ohne eine gewisse Sammelleidenschaft, eine gute Portion Begeisterung für Heimatkunde und alte Maschinen sowie ein Interesse an handwerklichen Fertigkeiten, ohne diese selbst beherrschen zu müssen, fängt man damit erst gar nicht an.
Man bleibt dann aber doch dabei, weil dieses Thema einem Barfußhistoriker darüber hinaus viel mehr zu bieten hat. Man gelangt an Lost Places, Orte, die schon lange vergessen scheinen, man vertieft sich an langen Winterabenden oder auf einer sommerlichen Liegewiese in die Biografie von Unternehmen, die durchaus spannend sein können oder man löst seinen einen kleinen Wirtschaftskrimi, wenn einem die aktuelle Tatort-Folge im Fernsehen wieder einmal langweilen sollte.

Wie interessant technikgeschichtliche Arbeit sein kann soll an folgendem Beispiel gezeigt werden.

Der Fuchsloch-Beiwagen - ein Rätsel aus den 1930er Jahren


Die Aufgabe:
Ein Bekannter stellte mir vor Kurzem den Entwurf für eine Webseite vor, die er für seinen Verein gebaut hat. Darin wird ist ein bisher unbekanntes Prospekt abgebildet und es wird die Frage aufgeworfen, "Wer kennt den Fuchsloch-Beiwagen?"
Der Konstrukteur und Erbauer soll seine Werkstatt in Ulm gehabt haben.
Screenshot RTG
Screenshot https://rtg-ulm.de/ v. 27.01.2021
Ich fahre selbst ein Oldtimer-Motorrad-Gespann, aber nicht nur deshalb reizt mich die Lösung dieser Frage.
Eröffnet sich hier ein weiteres Kapitel aus der Vergangenheit der Ulmer Fahrzeugindustrie?
Verbirgt sich hinter dem Fuchsloch vielleicht ein inzwischen wieder vergessener kleiner "hidden champion" wie es der Kleinwagen von Hermann Holbein einmal war? Gibt es heute noch ein Exemplar vom Fuchsloch und einen Besitzer, der ähnlich stolz auf sein Fahrzeug ist wie Michael Schick und sein Steiger-Wagen?
Fest steht nur, die Geschichte wird nicht ganz einfach zu lösen sein und mehr erfordern als ein paar Minuten google und wikipedia.
1. Recherche:
Was ist schon bekannt?

Auf der Webseite wird erwähnt, dass der Erbauer seine Werkstatt in Ulm "Auf der Insel", also im Fischerviertel, hatte.
Ich frage bei meinem Bekannten nach, ob es neben dem einen Foto noch andere Bilder gibt, auf denen der Beiwagen zu erkennen ist und bekomme so noch 3-4 weitere, schlecht erkennbare Fotos vom Prospekt, das in der Ulmer Druckerei Mohn hergestellt worden sein soll.
Das Original oder zumindest ein Scan davon wäre hilfreicher gewesen, das scheint aber im Moment nicht möglich zu sein.

Die Betrachtung der Fotos ergibt folgendes:
Mit diesen wenigen Informationen ist klar, dass der Weg zur Lösung wohl eher über dieses unbekannte Motorrad zu suchen sein wird.

Beiwagen gab und gibt es bis auf wenige Ausnahmen nicht in Großserie und die alten bekannten Marken Steib und Stoye hatten Merkmale zu dem der Fuchsloch nicht passt.
Zudem war es zu den Hochzeiten des Gespannbaus gängige Praxis, dass sich Motorrad-Hersteller die unter eigenem Namen verkauften Beiwagen von einem oder zwei kleineren Betrieben zuliefern liessen anstatt sie selbst zu bauen.
Andererseits war und ist es auch durchaus üblich, sich beim Händler seines Vertrauens die Maschine nach eigenen Vorstellungen mit einem Seitenwagen ausrüsten zu lassen. Die notwendigen Teile werden dann individuell bei Kleinserienherstellern beschafft.

Jedenfalls sind die bis jetzt bekannten Angaben vorläufig noch zu vage um direkt nach einem Seitenwagenbauer namens "Fuchsloch" zu suchen. Wir gehen also den Umweg über die Motorrad-Hersteller.
2. Recherche:
Die Maschine

Schauen wir uns also die Bilder etwas genauer an.
Die Landschaftsaufnahmen geben nicht viel her. In einem Bild sehen wir ein hübsches Bergpanorama. Im Vordergrund ein Seitenwagengespann, abgestellt im Straßengraben, zwei Personen daneben mit Blick in die Ferne. Erkennen kann man auf dem Foto ausser Landschaft jedoch überhaupt nichts.
Ich frage mich, was den Fahrer wohl geritten haben mag, sein Fahrzeug so ungünstig abzustellen? Mit dem Gespann wird er sich schwer tun aus dem Graben wieder auf die Straße zu kommen. Die Frage wird aber wohl für immer unbeantwortet bleiben und ist für uns auch absolut nebensächlich.
Ein zweites Bild zeigt eine Gruppe mit vier Personen. Sie machen Rast und blicken in ein Tal. Das Gespann ist nur von hinten zu sehen.
Vier Personen plus Fotograf? Mit dem Gespann muss also auch ein Auto unterwegs gewesen sein, zumal eine der beiden Damen ein luftiges Kleidchen trägt. Aber auch diese Überlegung trägt jetzt nichts zur Klärung unserer Frage bei.
Bild 3 gibt schon mehr her. Ein Gespann am linken Straßenrand, drei Personen, die Sozia ist abgestiegen, der Fahrer hat es sich auf der Maschine bequem gemacht. Im Beiwagen eine Gestalt unbekannten Alters und Geschlechts.
Nun ist deutlich zu erkennen, dass es sich bei diesen Bildern um eine andere Maschine als auf den Portrait-Fotos handelt. Es ist mit Sicherheit eine BMW, vielleicht eine R 16? Und auch der Beiwagen hat eine andere Bauform und Lackierung als das Portrait-Gespann.
Das mag darauf hindeuten, dass vom Fuchloch mehr als nur ein Exemplar gebaut wurde, hilft uns aber wegen der schlechten Qualität der Bilder nicht weiter.
Auch die BMW ist keine große Hilfe da der genaue Typ und das Baujahr nicht festgestellt werden können.

Ergiebiger sind da schon die Portrait-Aufnahmen des vorgeblichen Fuchsloch-Gespanns. Zwei Fotos von hinten, eines von der Seite und eines von vorn.
Die Maschine hat nur einen Einzelsitz, einen Gepäckträger mit zwei kleinen Satteltaschen, einen auffällig langgestreckten und spitzen Tank und eine sog. Tiger- bzw. Trapez-Gabel. Von hinten erkennt man eine Doppelport-Anlage mit relativ schlichten Auspuff-Enden rechts und links.
Bemerkenswert ist, dass die Maschine ein Ulmer Kennzeichen der damaligen Zeit trägt (IIIZ-7371), der Ulm-Bezug ist also damit bestätigt.
Sehr schlecht zu sehen ist auf dem hinteren Schutzblech noch ein Emblem, ein springendes Raubtier. Mir sagt das im Moment jedoch noch nichts.

Ein regnerischer Winterabend hilft hier weiter. Nach einer ausgiebigen Suche in diversen einschlägigen Bilder-Archiven im Internet komme ich zu der Überzeugung, dass es sich um eine frühe Standard BS 500 handelt. Das Firmenlogo passt zu dem kaum erkennbaren Emblem an der Maschine und auch die technischen Details stimmen weitgehend überein.
Die BS 500 wurde von 1928 bis 1933 hergestellt und hat einen 1-Zylinder Viertakt-Motor von MAG mit 16 PS.

Die größere Schwester BT 750 mit 2-Zylinder V-Motor und 20 PS galt als besonders Gespann-tauglich, sie hatte jedoch eine andere Auspuff-Anordnung als unsere Maschine.
Die Standard Fahrzeugfabrik GmbH in Ludwigsburg wurde 1926 von Wilhelm Gutbrod gegründet und stellte neben Motorrädern später auch Automobile und Dreirad-Fahrzeuge her. Die Gutbrod-Klein- und Lieferwagen der Nachkriegszeit sind heute bekannter als die vor dem 2.WK sehr beliebten Standard-Motorräder.


Mehr über die Firma Standard-Gutbrod unter -» http://www.standard-gutbrod.de/Die_Marke/die_marke.html

Mit diesem Ergebnis können wir also davon ausgehen, dass der Fuchsloch-Beiwagen keinesfalls vor 1928 und wahrscheinlich nicht viel nach 1930/31 an diese Maschine gebaut wurde. Das grenzt die Suche nach dem Erbauer schon so weit ein, dass ein Blick in die Ulmer Adressbücher jener Zeit einen Erfolg verspricht.
3. Recherche:
Der mutmaßliche Erbauer des Fuchsloch-Beiwagens

Die Adressbücher der Stadt Ulm für den Zeitraum 1812 bis 1939 sind digitalisiert und können in der Stadtbibliothek als CD ausgeliehen werden.
An dieser Stelle einen großen Dank an diese städtische Einrichtung!
Blättert man mit viel Geduld durch die Personen- und Straßenregister zum Ende der 1920er Jahre findet man diesen Eintrag für die Fischergasse 17.

Ulmer Adressbuch 1929, Straßenverzeichnis
Wer sich in Ulm auskennt weiß nun aber, dass die Fischergasse zwar nicht auf der Insel (die als solche ohnehin kaum jemand kennt) aber doch in deren unmittelbarer Nähe liegt. Mithin könnte der Fuchsloch durchaus aus dem Hause Paul Greeck stammen.
Beleuchten wir also dieses Umfeld einmal genauer.
Der Name Paul Greeck taucht in den Büchern 1927 zum ersten Mal auf als Inhaber eines "Motorenhauses" in der Breiten Gasse 1.
Auffällig ist, dass auch Hermann Oesterle, der in diesem Eintrag als Werkstattleiter angegeben ist, 1927 zum ersten Mal erwähnt wird, da als Kaufmann in der Firma Motorrad-Zentrale, Fischergasse 17¹.
Nach 1929 scheint die Ära Paul Greeck aber schon wieder beendet gewesen zu sein, es ist danach nur noch ein Hans Greeck registriert, 1931 als Kaufmann in der Hirschstr. 6, 1933 bis 1939 jedoch als Motorradwerkstatt bzw. Betrieb für Motorfahrzeuge. Das Unternehmen hatte seinen Sitz in der Köpfingergasse 9, was allerdings gegen eine Zuordnung zum Fuchsloch sprechen würde.

Hermann Oesterle aus der Fischergasse dagegen wird 1931 als Inhaber der Firma Auto-Oesterle geführt, wobei im gleichen Haus auch eine Firma Schmid & Oesterle, Inhaber: D.Best, BMW Garage, Auto-u. Motorradwerkstatt, eingetragen ist.
Auffällig an der Anzeige von Auto-Oesterle ist der Vermerk "Krone" Seitenwagenbau.
Die Firma Auto-Oesterle hat bis 1933 Bestand und zieht 1935 als "Herm. Oesterle, Auto-Reparaturen" in die Hoheschulgasse 4. Die Fischergasse gilt noch bis 1937 als Wohnadresse von Oesterle, danach scheint er in den 1. Stock seiner Auto-Reparaturwerkstatt in der Hoheschulgasse gezogen zu sein.
Für 1937 und 1939 ist auch vermerkt, dass er ein Geschäft in der Breiten Gasse 7 betrieben hat.


Geschäftsanzeige 1927

Geschäftsanzeige 1931

Sowohl Greeck als auch Oesterle waren BMW-Händler, über eine Standard-Vertretung ist aber nichts bekannt.
Nach dem Krieg wurden Standard-Motorräder über die Schwabengarage verkauft.


Adressbücher nach 1939 können in der Stadtbibliothek eingesehen aber nicht ausgeliehen werden.
Die aktuelle Pandemie-Situation macht es leider schwer, die weitere Entwicklung von Hermann Oesterle zu erforschen.
Eine Namenssuche im Internet ergab zwar einen Treffer. Ein Hermann Oesterle hat 1948 in Urbach bei Schorndorf (also gar nicht weit von Ulm) einen Betrieb für Anhänger-Bau gegründet. Auf Nachfrage bei der Firma wurde aber eine Verbindung nach Ulm ausgeschlossen.


Wurden die Fuchsloch-Beiwagen wirklich in Ulm bei der Firma Krone-Seitenwagenbau, Herm. Oesterle, Fischergasse 17, hergestellt?

Inzwischen habe ich das Fuchsloch-Prospekt als pdf-Datei erhalten. Ausser einer besseren Auflösung der Bilder liefert es nur eine weitere Information, die allerdings erstaunlich ist. Auf dem Titelblatt wird als Autor bzw. Hersteller die Firma Karl Fuchsloch, Maschinen- und Apparate-Bau in Ulm, Auf der Insel Nr. 6, genannt.
Bei einer sofortigen Überprüfung über die Adressbücher konnten diese Angaben jedoch nicht bestätigt werden. Unter dieser Anschrift ist zwischen 1929 und 1939 weder ein Karl Fuchsloch noch eine mechanische Werkstatt registriert.


Exkurs:
Mit diesem Wissen mache ich mich auf den Weg in das Ulmer Fischerviertel, um das Umfeld dieser beiden Adressen zu erkunden.
Die Fischergasse 17 ist ein Neubau aus den 1950er-60er Jahren. Der Vorgängerbau, die Werkstatt von Greeck bzw. Oesterle, wurde wahrscheinlich im Krieg zerstört.
Das Haus Fischergasse 17¹ dagegen scheint einen historischen Kern zu haben und in jüngerer Zeit renoviert und umgebaut worden zu sein. Es macht einen schmucken Eindruck. Von Werkstätten im Erdgeschoss, wie in den alten Adressbüchern angegeben, ist heute aber nichts mehr zu sehen.
Anders im Haus "Auf der Insel 6", das als Anschrift für den Fuchsloch-Hersteller genannt wird. Dieses bescheidene, alte Anwesen, dessen letzte große Renovierung wohl auch schon viele Jahre zurück liegt, verfügt nur über einen Anbau mit einer neuzeitlichen Doppelgarage. Allerdings war diese Adresse bis 1939 aufgeteilt in die Hausnummern 6¹ und 6². Die heutige Garage dürfte also damals wohl ein kleines Wohnhaus gewesen sein.
Für jemandem, der selbst ein Gespann restauriert hat, ist es nur sehr schwer vorstellbar, dass in diesem Umfeld mehr als nur ein einzelner Prototyp hergestellt worden sein soll. Selbst für die Montage eines zugelieferten Beiwagens an eine Maschine hätte man wohl auf die Straße vor der Garage ausweichen müssen.
Was in dem von Romantikern gern als "Klein-Venedig" bezeichnetem Teil von Ulm sicher nicht statt gefunden haben mag ist eine Serien-Produktion von Seitenwagen.

Während also vorläufig die Arbeit an der Feststellung des Erbauers ruht wenden wir uns noch einmal dem Prospekt zu und schauen uns den angeblichen Fuchsloch-Beiwagen genauer an.

4. Recherche:
Der Beiwagen

Während das Wissen über deutsche Vorkriegs-Motorräder doch relativ breit gestreut ist und Informationen dazu gut zugänglich sind sieht es bei den Beiwagen sehr schlecht aus.
Geht man auf Oldtimer-Veranstaltungen oder -Messen kann man dort durchaus einmal eine seltene Maschine entdecken und mit dem Besitzer ein paar Worte wechslen. Bei den Seitenwagen beschränkt sich die Auswahl dagegen meist auf Wehrmachtsgespanne von BMW oder Zündapp, Fachleute anderer Marken sind äußerst rar.
Da auch die Quellenlage im Internet sehr dürftig ist konzentriert sich meine Suche auf entsprechende Literatur.
Vielversprechend erschien mir hier das Buch "Deutsche Seitenwagen 1903 bis 1960" von Karl Reese, das ich dann auch umgehend beim Verlag bestellt habe.
Buch
Karl Reese
Deutsche Seitenwagen 1903 - 1960
176 Seiten, Hardcover, Format 21 x 28 cm
ISBN: 978-3-935517-60-7
36,00 €
Als dann das Buch bei mir eintraf galt der erste Blick dem Inhaltsverzeichnis, ob sich dort ein Hinweis auf eine Firma Fuchsloch oder Krone findet.
Die -nur geringe- Hoffnung wurde jedoch enttäuscht und da es dem Buch an einem Schlagwortregister mangelt füllten sich eine Reihe von Winterabenden mit dem Studium von über 100 Firmengeschichten.
Ein Hinweis auf einen Seitenwagen aus Ulm fand sich jedoch nicht.

Trotzdem war das Buch sehr hilfreich, denn das Chassis des Fuchsloch-Beiwagens weist ein paar typische Konstruktionsmerkmale auf, die auch bei anderen Herstellern im Buch beschrieben werden.
Das Fuchsloch-Boot ist hinten auf einer Querblattfeder, vorne auf einem kurzen Querholm gelagert, der Dreieck-Rahmen ist über eine Vierpunkt-Aufhängung und zwei Streben mit der Maschine verbunden.
Heck
Bug
Für die Firma Royal aus München, die von 1924 bis 1964 Seitenwagen gebaut hat, wurde 1925 ein Einrohr-Rahmen sehr ähnlicher Bauart patentiert.
Royal war über mehrere Jahre Seitenwagen-Lieferant für BMW und hat auf Anforderung dieses wichtigen Herstellers aus seiner Nachbarschaft die eigenen Seitenwagen mit Bremse und Steckachse ausgerüstet. Eine solche Steckachse wird in dem Prospekt auch für den Fuchsloch angeboten.

"Unser" Fuchsloch-Gespann


Aus einem Prospekt der Fa. Royal
Gegenüber der Serien-Version weist unser Fuchsloch einen sog. Rennbügel und eine zusätzliche seitliche Leuchte als Sonderausstattung auf.

Die Firma Swan-Ajax, ebenfalls in München ansässig, verwendete für ihre Seitenwagen einen sehr ähnlichen Rahmen. Hier ist wohl noch ungeklärt, ob es sich dabei um einen Lizenz-Nachbau des Royal-Patents oder eine eigenständige Entwicklung handelt. Swan-Seitenwagen wurden von 1930 bis 1939 gebaut und u.a. an D-Rad und DKW-Maschinen gefahren.

Nicht nur der Beiwagen auf den Portait-Fotos dürfte von Royal bzw. Swan stammen, auch das BMW-Gespann auf den Landschaftsfotos scheint bei genauer Betrachtung damit ausgerüstet zu sein. Allerdings ist das Boot hinten an zwei C-Federn aufgehängt. Dieses Konstruktionsmerkmal gab es aber auch bei manchen Royal-Typen.


Aber: Betrachtet man den Bug des Bootes aus dem Prospekt in einer starken Vergrößerung erkennt man an dessen Spitze das Standard-Firmenemblem.
Daraus ergeben sich gleich mehrere Fragen:

Um diese Fragen zu klären habe ich Kontakt mit Fachleuten aus der Fahrzeug-Veteranen- und Standard-Szene aufgenommen.
Ob die weiter helfen können?

Bis wir eine Antwort haben beschäftigen wir uns mit der ...

Kleine Geschichte der Deutschen Seitenwagen bis 1939

Serienmäßige Motorräder wurden nach heutiger Lesart erstmals 1894 durch Heinrich Hildebrand und Alois Wolfmüller gebaut.
Bei Wolfmüller beschäftigt war auch der in Ulm geborene Erfinder und Flugzeugkonstrukteur Ludwig Rüb, der schon ein Jahr später, 1895, ein eigenes Motorrad auf die Straße stellte.
Die Idee, einen Seitenwagen an ein einspuriges Fahrzeug zu bauen, dürfte aber sogar noch ein Jahr älter sein. Der französische Offizier Bertoux soll 1893 ein zusätzliches Fahrwerk an ein Fahrrad montiert haben.

Wirklich begonnen hat die Geschichte der Gespanne aber erst 1903, als sich die englischen Brüder Graham ihren Motorrad-Seitenwagen in Frankreich patentieren liessen.
Davor hat man sich mit sog. Vorsteckwagen beholfen. Dazu wurde die Vordergabel des Motorrades ausgebaut und durch einen zweispurigen Rahmen mit Sitz ersetzt.
Wirklich durchgesetzt hat sich diese Bauweise aber nur für den Gepäck-Transport.
Waddington Fafnir 500 cc ioe forecar 1905-02
Viele damalige Motorrad-Hersteller übernahmen schnell die seitlich angebrachten Beiwagen nach Graham in ihr Programm.
Die anfangs noch offenen Sitze wurden bald darauf den englischen Vorbildern folgend durch geschlossene Karosserien, den sog. Booten, ersetzt, die im Laufe der Jahre immer komfortabler wurden.
Höhepunkt dieser Entwicklung dürften die Reise-Limousinen und Motorrad-Taxis der 1920-30er Jahre gewesen sein.

Motorrad-Taxi

Beiwagen mit Kofferraum

Bis Anfang der 30er Jahre bestanden die Boote überwiegend aus Holz. Auf eine Spantenkonstruktion wurden Sperrholzplatten oder -streifen aufgebracht und direkt lackiert oder mit Blech verkleidet. Neben der Kastenform waren daher zu der Zeit fünf- oder achteckige "Zeppeline" üblich. Mit der Entwicklung moderner Tiefziehverfahren im Karosseriebau kamen dann runde "Torpedos" wie bei unserem "Fuchsloch" in Mode.


Auch die Heckform viriierte mit der jeweils aktuellen Mode und dem jeweiligen Verwendungszweck des Gespanns.
Ein Kofferraum für kleines Gepäck war meist nur über eine klappbare Rückenlehne erreichbar, Familenväter wählten eher die Version mit einem zweiten Notsitz. Anderen Fahrer gefiel das Spitzheck oder das Schrägheck besser und wer als besondes sportlich gelten wollte griff zum Bugatti-Heck, wie es auch bei unserem Standard-Fuchsloch verwendet wurde.


Der Gespann-Bau boomte in der Zeit zwischen den Weltkriegen. Autos waren für die Mehrheit noch unerschwinglich, Motorräder dagegen schon ein Verkehrsmittel der Mittelschicht. Neben Beiwagen für den Personentransport wurden auch Lastenwagen hergestellt und besonders von Handwerkern und Behörden (z.B. Post) stark nachgefragt.


Aus "Das Motorrad", Febr. 1932


Ähnlich wie bei den Motorrädern beherrschten nicht nur die großen Hersteller wie Kali, Steib, Stolz und Stoye den Markt. Bei einer Vielzahl von Kleinserienhersteller, oft nur kleine Handwerksbetriebe, konnte man sein Motorrad ganz individuell mit einem Seitenwagen ausrüsten lassen. Allein in Berlin soll es über 100 Firmen dieser Art gegeben haben.
Besonders diesen kleinen Betrieben brachte dann die durch den Börsencrash im Oktober 1929 ausgelöste Weltwirtschaftskrise und die darauf folgende hohe Arbeitslosigkeit genau der Bevölkerungskreise, für die zuvor ein Gespann der Einstieg in die Mobilität war, das wirtschaftliche Aus.
Während des Zweiten Weltkriegs und der durch das NS-Regime gleichgeschalteten Wirtschaft dominierten dann BMW- und Zündapp-Gespanne mit Beiwagen, die gemäß Vorgaben des Heereswaffenamtes von Steib und Stoye nach einheitlichem Muster gebaut wurden. Diese Seitenwagen waren für den Kriegseinsatz besonders stabil konstruiert und hatten einen zuschaltbaren Seitenwagen-Antrieb.

Nach dem 2.WK erlebte der Gespannbetrieb in Westdeutschland nur noch eine kurze Blüte. Sehr schnell wurde hier das Motorrad als Massenverkehrsmittel vom Auto abgelöst. Steib stellte seine Produktion 1962 ein; nach 1969 waren als Folge einer Konstruktionsänderung bei BMW keine deutschen Motorräder mehr serienmäßig gespanntauglich.
Anders in der DDR, wo automobiler Individualverkehr lange Zeit politisch nicht gewollt war. Im von den Motorenwerke Zschopau (MZ) durch Verstaatlichung übernommenen Stoye-Werk in Leipzig baute man noch bis zum Ende der DDR Seitenwagen, die auch über den Versandhändler Neckermann in die BRD geliefert wurden.


Heute ist Seitenwagen-Fahren ein Hobby mit sehr individuellem Charakter. Die Palette reicht vom preisgünstigen russischen Ural-Gespann aus der Großserie über Kleinserien-Seitenwagen an BMW-, Honda- oder anderen Werksmaschinen bis zum Eigenbau als Bausatz oder in freier Konstruktion. Besondere Aufmerksamkeit erzeugen die sog. Schwenker-Gespanne bei denen der Beiwagen so gebaut ist, dass das Motorrad weiter in Schräglage gefahren werden kann.

Zusammenfassung und Abschlußthesen

Inzwischen sind die Rückmeldungen aus den Oldtimer-Foren und Mails eingetroffen.
Über den Seitenwagenbau bei Standard gibt es nur noch wenige Informationen. Das Firmenarchiv ist bei einem Hochwasser in den 1970er Jahren verloren gegangen. Aus Prospekten und Anzeigen ist allerdings bekannt, dass Beiwagen zum Festpreis als Sonderzubehör ab Werk angeboten wurden (z.B. 1928 für 400 Mark).
Es gibt aber engagierte Standard-Fans, die sich die Mühe gemacht haben anhand alter Zulassungsunterlagen Listen der damaligen Besitzer zu erstellen. Auf diesem Weg habe ich erfahren, dass unsere Maschine mit dem Kennzeichen IIIZ-7173 1931 einem Kaufmann mit dem Namen Friedrich Krauß gehört haben soll.


Laut Adressbuch aus dem Jahr gab es tatsächlich einen Mann dieses Namens, wohnhaft im Heigeleshof 5.
Auffällig klingen dessen berufliche Angaben in den Folgejahren, in denen er in der Blumenstraße 6 ansässig war. Da wird er erst als Oberinspektor, dann als Vertreter und später als Versicherungs-Inspektor geführt. In diesen wirtschaftlich unruhigen Zeiten mag dieser häufige Wechsel jedoch kein ungewöhnliches Schicksal gewesen sein.
Nach 1937 verliert sich die Spur des Herren Krauß. Er war vermutlich nur ein Fuchsloch-Kunde.


Fassen wir die entscheidenden Ergebnisse noch einmal zusammen:
  • Einziger existierender Hinweis auf einen Fuchsloch-Beiwagen ist ein Prospekt aus einem Muster-Buch der lithograph. Anstalt Jos. Mohn in Ulm
  • Der Prospekt und der angebliche Fuchsloch-Beiwagen stammen aus den Jahren 1928 bis ca. 1931
  • Eine Firma Karl Fuchsloch, Maschinen- und Apparatebau, ist zu dieser Zeit nicht in Ulm gemeldet
  • Bei beiden im Prospekt abgebildeten Beiwagen handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Großserien-Fahrzeuge der Hersteller Royal oder Swan-Ajax
  • In der Nähe des vorgeblichen Herstellers gab es Ende der 1930er Jahre eine Motorrad-Werkstatt Hermann Oesterle

Daraus und aus dem, was wir darüber hinaus heraus gefunden haben, lassen sich zwei Thesen ableiten:

⇒ Bei dem Prospekt handelt es sich um ein Entwurfsmuster ohne einen konkreten Werbeauftrag

Um in ihrem Musterkatalog eine Lösung für den Anwendungsfall "Fahrzeug-Werbung" präsentieren zu können, hat sich die Firma Mohn einen fiktiven Hersteller eines Motorrad-Beiwagens ausgedacht und dieses Beispiel mit vorhandenen Bildern unterlegt. Der Name Karl Fuchsloch als Hersteller könnte aus einer persönlichen Beziehung des Lithographen zu dem zu dieser Zeit tatsächlich in Ulm lebenden Oberladeschaffner gleichen Namens stammen. Die die räumliche Nähe der Motorrad-Werkstatt von Hermann Oesterle zur Adresse des fiktiven Seitenwagen-Herstellers ist zufällig.
Ziel des Prospektes war nur zu zeigen, welche konzeptionelle Möglichkeiten, grafische Eigenschaften und technische Qualität die Firma Mohn in ihrem Druck-Portfolio zu bieten hat.

Bei dieser These stellt sich die Frage, warum ausgerechnet ein Seitenwagen-Hersteller als Beispiel heran gezogen wurde und warum sich Mohn um Kunden im Bereich Fahrzeugbau bemüht haben sollte.

⇒ Bei dem Prospekt handelt es sich um das Muster für einen konkreten Werbeauftrag

Ein Kunde, vielleicht Hermann Oesterle, erteilt der Firma Mohn den Auftrag, ein Verkaufs-Prospekt für Seitenwagen zu erstellen die er von anderen Herstellern bezieht und mit denen Kunden-Motorräder komplettiert werden. Zur Bebilderung des Prospekts werden Fotos von schon früher verkauften Gespannen verwendet.
Für diese Version spricht der Entwurfstext, in dem die Rede ist vom "Ergebnis jahrelanger, mühevoller Arbeit", was bei einer Neu- oder Eigenentwicklung nicht zutreffend wäre. Ausserdem wird nirgends im Text eine eigene Produktion angedeutet. Ulm ist lediglich als Gerichtsstand genannt.

Bei dem Auftraggeber für diesen Prospekt kann es sich nicht um den angegebenen Apparate-Bau Karl Fuchsloch handeln. Aber warum wurde für das Muster ein falscher Name und eine falsche Adresse verwendet?


Sollten mit dem Prospekt entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch eigenentwickelte Beiwagen beworben werden wäre zu fragen, warum im Text nicht auf die Nähe zu den Konstuktionsprinzipien von Royal oder die Zulieferer-Beziehung zu Standard eingegangen wird. Beides wären hervorragende Verkaufsargumente gewesen.
Noch unwahrscheinlicher erscheint, dass in dem Muster-Prospekt noch nicht einmal die eigenentwickelten Fuchsloch-Beiwagen sondern nur Platzhalter abgebildet sind weil entsprechende Prototypen noch nicht fertiggestellt waren.
In dem Fall wäre die Werbeschrift, die sicher auch schon einige Kosten verursacht hat, noch vor dem eigentlichen Produkt in Arbeit gegangen.


Meine persönliche Interpretation: Hermann Oesterle wollte seine Werkstatt vergrößern und auf Seitenwagen spezialisieren, benötigte dazu aber einen solventen Kompagnon. Um diesen einzuwerben ließ er bei Mohn ein entsprechendes Prospekt entwerfen und verwendete dazu, weil der Name der gemeinsamen Unternehmung offen bleiben sollte, den fiktiven Karl Fuchloch.
Es fand sich aber kein Teilhaber und aus "Auto-Oesterle" wurde wieder eine kleine Reparaturwerkstatt und Garage.


Das Mohn'sche Prospekt zum Fuchsloch-Beiwagen wurde vor ein paar Jahren schon einmal unter einem anderen Aspekt untersucht. Susanne Radtke, Professorin für Grundlagen der Gestaltung und Mediendesign an der Hochschule Ulm, war über die moderne Schrift und Gestaltung des Entwurfs erstaunt und bezeichnet sie in einem Artikel der Südwest Presse als "hochmodern" und ihrer Zeit voraus.
Aber auch sie kommt letztlich zum Entschluß: "Das Ganze ist ein Rätsel."


Abschliessend wird man also feststellen müssen, dass es wohl nie einen Fuchsloch-Beiwagen aus Ulm gegeben hat und die Geschichte des Prospektes im Musterbuch der Druckerei Mohn wahrscheinlich nicht aufgeklärt werden kann.
Ein Zeitzeuge, der Einzelheiten über die Hintergründe berichten kann, wird sich zwar nicht mehr finden. Vielleicht kennt aber noch jemand Familien-Geschichten zu einem der beiden abgebildeten Gespanne.

Da ein Großteil der privaten Gespanne im Krieg für die Wehrmacht eingezogen und in dessen Verlauf zerstört wurden, düfte auch kein "Fuchsloch"-Beiwagen bis heute überlebt haben.


Erwas später:
Inzwischen sind einige Tage vergangen in denen das Fuchsloch-Rätsel etwas in den Hintergrund getreten ist.
Auf dem Weg in die Stadtbibliothek komme ich an der ehemaligen → Veltensmühle in der Schwörhausgasse vorbei und entdecke an der Hausecke zufällig ein Schild mit dem Hinweis auf einen Kfz-Sachverständigen Frank Oesterle, der hier sein Büro haben soll.
Dieser Name in unmittelbarer Nähe zur Fischergasse elektrisiert! Könnte es sein, dass ...?
Ich notiere mir die E-Mail Adresse, schreibe Herrn Oesterle noch am selben Tag an und bekomme einige Tage später folgende Antwort:
"Hallo Herr Pötzl,
das war ein Volltreffer: Hermann Oesterle ist mein Großvater.
In der Fischergasse 17 sind sowohl mein Vater als auch mein Onkel auf die Welt gekommen. Mein Onkel lebt heute noch und wird dieses Jahr 88. ... Er wird aber auch derjenige sein, der ihnen zu dem Thema vermutlich noch am meisten erzählen kann. ...

Den Onkel, Herrn Manfred Oesterle, werde ich unter den aktuell gegebenen Umständen sicher nicht selbst zur Familiengeschichte und den Hintergründen des Fuchsloch-Beiwagens befragen können. Frank Oesterle hat mir aber zugesichert, der Sache bei nächster Gelegenheit nachzugehen und mir zu berichten.
Und was er zwischenzeitlich schon einmal am Telefon erzählen konnte klingt so vielversprechend, dass daraus sicher eine neue, spannende Technik-Geschichte entstehen wird.


Nachtrag:
Wie eingangs erwähnt, wurde die Frage "Wer kennt den Fuchsloch-Beiwagen?" auf der Homepage des Vereins Regionale Technik Geschichte gestellt.
Wirklich beantwortet werden konnte diese Frage noch nicht. Vielmehr haben sich darüber hinaus noch einige neue Fragen ergeben. So ist z.B. noch unklar, woher der Name Fuchsloch stammt. Hier reichen die Vermutungen von einem als Treff für Motorradfahrer genutzen Garten bei Langenau bis zu einem auswärtigen Teilhaber an der Firma.

Laut Herrn Oesterle wurde inzwischen auf dem Dachboden des Autohauses, das Hermann Oesterle nach dem Krieg in Laichingen eröffnet hat, ein lange vergessener Seitenwagen aus den 1950er Jahren gefunden. Ist das ein Nachfolgemodell des Fuchslochs und wie weit handelt es sich dabei um eine eigenständige Konstruktion?
Als Kfz-Sachverständiger verfügt Herr Oesterle auch über weitreichende Kontakte in die Oldtimer-Szene. Finden sich dort noch andere Hinweise auf einen Seitenwagen aus Ulmer Produktion?

Der Verein RTG – Regionale Technik Geschichte Ulm hat es sich zur Aufgabe gemacht solche Artefakte aus der Region zu erschließen, zu bewahren und zu präsentieren. Ein Schwerpunkt sind dabei Zeitzeugenberichte und die Dokumentation von Technikgeschichte in medialer Form. Der Verein plant daher ein Interview mit der Familie Oesterle und einen Film über die Bergung des Laichinger Oesterle-Seitenwagens.
Über beides wird dann zu gegebener Zeit auf der Webseite des Vereins unter -» https://rtg-ulm.de/ berichtet werden.



Das Fuchloch-Prospekt aus dem Mohn'schen Musterbuch


-->> Aus urheberrechtlichen Gründen darf an dieser Stelle das Prospekt im Moment leider noch nicht veröffentlicht werden. <<--



Oldtimer-Gespanne heute

Stoye TS 500 (ca. 1950, Leipzig)

 

Ideal (?, 1920 - 25, Berlin, auf Steib Fahrgestell)

 

unbekannt (auf Steib Fahrgestell mit Rennbügel)
Steib S 500 SL (ca. 1952, Nürnberg)

 

Royal RSG (ab 1950, München)

 

Mozet (? , 1929 - 34, Leipzig)